1. Februar 2011 Adrian van der Lek

2010 – Ein Jahr des Umbruchs für die Autonome Schule

Das zweite Jahrzehnt des neuen Milleniums begann für die ASZ und die darin beherbergten Deutschkursen des Vereins Bildung für Alle mit einem gewaltigen Schlag; an einem kalten Nachmittag, die erste Januarwoche war noch nicht verstrichen, räumte ein grosses Polizeikommando die Räumlichkeiten des Schulpavillons Allenmoos 2 und entriss damit dem noch jungen Bildungsprojekt unangekündigt eine essentielle Ressource.

Als ich von der Räumung erfuhr, beschloss ich, zur neuen Bleibe des damals einzig weiterbestehenden Zweig der ASZ, den Deutschkurses des Vereins Bildung für Alle, zu fahren und mir ein Bild vom Provisorium zu machen. Vor Ort, trat ich zögerlich ein und fand mich zwischen zwei langgezogenen, recht düsteren Hallen. Spotlampen brannten helle Flecken auf massive, grobgeschreinerte Tische, abseits herrschte Dunkelheit. Die wenigen Heizlüfter, die im Raum verteilt leise vor sich hinsurrten, vermochten gegen die  Kälte, die durch die bescheidene Isolation allseits ihren Weg in das Gebäude fand, kaum etwas auszurichten und so fühlte sich kaum jemand veranlasst, Jacken oder Kopfbedeckungen abzulegen. Eine einzelne, kleine Klapptafel lehnt an der Trennwand zur Eingangshalle, das einzige Mobiliarstück, das es ermöglicht, der für Aussenstehende wohl etwas merkwürdig anmutenden Zusammenkunft zumindest auf den zweiten Blick den Begriff "Schule“ zuzuordnen.

Mitte Februar erreichte mich bereits die Nachricht, dass die Schule ihren Standort gewechselt hatte; ein Flachbau unweit des Letzigrundstadions war in Beschlag genommen worden und die Umzugsarbeiten bereits in vollem Gange. Einige Tage Unterricht folgten in den noch sehr provisorisch wirkenden und kaum ausgeleuchteten Räumlichkeiten, dann folgte ein "Renovationstag", an dem nahezu alle anwesenden Kursteilnehmer ihre Hilfe anerboten, die einzelnen Abschnitte des grossen Hauptraumes für den Unterricht herzurichten, mit Beleuchtung auszustatten und anhand von Trennwänden akustisch besser zu separieren. Die Sitzungen an der Badenerstrasse waren es, die mit einer neuen, sauberen Strukturierung der Unterrichtsgruppen das Fundament für spätere Entwicklungen legten. Kaum einen Monat später war auch dieser Aufenthalt zu Ende und mit grosser Sorgfalt installierte Einrichtungen mussten erneut abmontiert und für den Transport vorbereitet werden, oder aber, fielen den bald darauf über das Gelände rumpelnden Baumaschinen zum Opfer.

Dieses Mal führte uns unsere Reise einen Katzensprung entfernt in die unmittelbare Nähe der Sportanlage Utogrund, in den ehemaligen Sitz einer Firma, die sich auf Beleuchtungssysteme spezialisiert hatte. Mehrere Stockwerke, Teppiche, helles Interieur und gute Ausleuchtung bedeuteten einen grossen Schritt vorwärts hinsichtlich des Komforts für die Lernenden und Lehrenden. Zwischen den Besetzern, die sich im obersten Geschoss häuslich eingerichtet hatten und der im mittleren Stockwerk eingerichteten Schule entwickelte sich eine interessante Wechselwirkung, die über das kurze Bestehen der neuen Bleibe, liebevoll "Huberta" genannt (nach der nahe gelegenen öV-Haltestelle Hubertus), hinausreichen sollte. Neben den Schulräumen in der Mitte fand sich im rechten Gebäudeflügel eine kleine Kaffeeecke und die erste Generation unseres Kleinkinos. Eine Liefereinfahrt und ein geräumiger, moderner Aufzug erleichterten den Einzug ungemein und erlaubte uns, die Einrichtung in Rekordzeit vorzunehmen. Waren die meisten Schulräumlichkeiten weiterhin nicht oder nur wenig voneinander getrennt, war dennoch eine deutliche Verbesserung feststellbar. Die Atmosphäre schien sich langsam zu entspannen, der rechtzeitig angekündigte Wechsel war reibungslos, unter erneuter, bemerkenswert intensiver Beteiligung der Kursteilnehmer von statten gegangen und hatte der Stimmung nicht abgetan; eine neue Ruhe kehrte ein, wenn auch nur für kurze Zeit. In den wenigen Wochen kamen jedoch eine erste Computerecke und diverse Zusatzaktivitäten wie ein Filmprojekt und ein Selbstverteidungskurs zustande und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wurde einmal mehr auf das Projekt gelenkt.

Ebenso plötzlich wie unangenehm, wenn auch nicht ganz unerwartet, kam dann der Rauswurf nach kaum vier Wochen. Innerhalb weniger Tagen galt es, das Gebäude zu verlassen, eine Aufforderung, der missmutig Folge geleistet werden musste. In Windeseile wurde die Infrastruktur abmontiert und abtransportiert, nicht etwa zu einem neuen Schulhaus, nein, dieses war noch nicht gefunden, sondern verteilt über diverse besetzte Häuser in der Stadt Zürich. Nach einem kurzen Unterbruch zog unser Projekt dann neuerlich Richtung Wollishofen - es hatte bereits vor meiner Zeit einen vorübergehenden Stopp beim Gemeinschaftszentrum Wollishofen gemacht. Dieses Mal war es die Rote Fabrik, ein Kulturzentrum, das aus einer Besetzung in den Achzigerjahren hervorgegangen war, die uns zur Hilfe eilte. Viel Platz bot sich uns in den Räumen des alten Fabrikgebäudes, wenn auch stets mit der Verpflichtung verbunden, die Räumlichkeiten nach Ende des Unterrichts jeweils wieder für andere Aktivitäten freizugeben, was eine permanente Einrichtung mit Mobiliar verunmöglichte.

Zwei Wochen dauerte dieser Aufenthalt nur, dann war die nächste Niederlassung ermittelt und somit auch ein weiterer Umzug festgelegt - bereits der fünfte seit Jahresbeginn. Die Odyssee ging also weiter, mitsamt all ihren Strapazen, Unsicherheiten und Frustrationen, aber auch allen neuen Chancen, Möglichkeiten und Umfeldern, die es zu erforschen und im Rahmen von realitätsnahem Unterricht mit einzubeziehen galt. Es war eine kleine Baracke auf dem schicksalsträchtigen, politisch massiv vorbelasteten Gelände des alten Güterbahnhofs unweit der Hardbrücke - und bis zu einem gewissen Grad wohl auch ein Minenfeld, in das wir uns da hinein wagten.

Das Unheil liess nicht lange auf sich warten und bange, unsichere erste Wochen folgten, in denen es Drohungen seitens des Eigentümers aber auch viel Kritik aus den eigenen oder politisch verwandten Reihen hagelte. Das eigentümliche Machtdreieck, das sich zwischen der Schule, einem widerborstigen Mieter im Hauptgebäude des Bahnhofs, der auch faktisch Eigentümer der Baracke war und den Schweizerischen Bundesbahnen, die als Grundeigentümer gegen eben diesen Mieter ankämpften, gefolgt vom baumelnden Damoklesschwert «Polizei- und Justizentrum Zürich», lösten zumindest in mir Irritation, Gefühle der Unsicherheit und Besorgnis aus. Einzig die positiv verlaufene Kommunikation mit der Stadtpolizei, die uns versicherte, uns bei einer Räumung reichlich Zeit einzuräumen, vermochte diese Unruhe etwas zu beruhigen.

Und während dieses Spannungsfeld nach und nach in den Hintergund rückte, konnten neuerlich Entfaltungen stattfinden, wie sie seit der Zeit im Allenmoospavillion bald ein halbes Jahr zuvor nicht mehr möglich gewesen waren. Um- und Neugestaltung der Räumlichkeiten, Erweiterungen des Kursangebotes, Planungen von politischen Aktionen und anderen Formen von Öffentlichkeitsarbeit, bis hin zu Selbstfindungs-, Differenzierungs- und Neuorganisierungsprozessen, deren Dringlichkeit bereits Monate zuvor einstimmig eruiert worden war, die jedoch aufgrund aller lästigen, energieraubenden Trivialitäten stets zu kurz gekommen waren und nun endlich in aller Ausführlichkeit ausgeführt, diskutiert und verschriftlicht werden konnten, all dies wurde möglich, in der Baracke oder "Panama", wie sie bald heissen sollte.

Die Arbeit geht weiter, in völliger Ungewissheit, wann uns die nächste Wende ins Haus steht. Doch durch all die Erschöpfung und Ermüdungen hindurch, über die Verluste und Enttäuschungen hinweggesehen, scheint sich auch eine gewisse Immunität einzustellen, eine Immunität, die sich aus der Gewöhnung der besonders hartgesottenen Alteingesessenen und der frischen Energie der immer häufiger dazustossenden Neuankömmlingen zusammensetzt und das Projekt auf mehreren Ebenen zu stärken scheint. Komme was wolle und mag es eine Windmühle sein - wir sind noch lange nicht müde und in Gedanken an unsere Zukunft auch gespannt, wo uns unsere Odyssee durch die Untiefen Zürichs wohl das nächste Mal hinführen wird.

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