14. Juni 2025 Souri Thalong

Autonom reinigen

Saubere Züge, gefegte Strassen, desinfizierte Toiletten – für viele Menschen hier eine Selbstverständlichkeit. Doch wer sorgt eigentlich für das stets präsentable Erscheinungsbild der Schweiz? Über eine Arbeit, die nicht die verdiente Anerkennung erhält. Und über eine Genossenschaft, die es für ihre Reinigerinnen besser machen will. 

Semesterbeginn, Vorstellungsrunde in einem Deutschkurs der Autonomen Schule Zürich (ASZ), eine Kursteilnehmerin erzählt: «In Afghanistan war ich Hebamme, hier in der Schweiz putze ich Büros.» Das ist nicht ungewöhnlich. Viele Menschen, die an der ASZ Deutsch lernen, bestreiten ihren Lebensunterhalt nicht in ihrem angestammten Beruf, weil ihre Ausbildung in der Schweiz oftmals nicht anerkannt ist. Es verschlägt sie in Branchen mit leichteren Zugangsmöglichkeiten, etwa in die Gastronomie oder in die Reinigung. Tiefe Löhne, Arbeitseinsätze zu Randzeiten oder schlechte Sozialleistungen sind da keine Seltenheit.

«Ich bin seit 5 Uhr morgens auf den Beinen. Ich komme gerade von meinem Reinigungsjob in einem Eishockeystadion», entschuldigt sich eine weitere Deutschlernende dafür, dass sie während des Kurses ihre Augen kaum offenhalten kann.

Die Schweiz rühmt sich ihrer Sauberkeit. Doch sie übersieht, wer für diese Sauberkeit verantwortlich ist. «Die Reinigung ist eine systemrelevante Branche. Und nur wenige, die in ihr arbeiten, sind in der Schweiz geboren», schreibt Marianne Pletscher in der Einleitung ihres Buches «Wer putzt die Schweiz?», in dem sie und der Fotograf Marc Bachmann mehrere Reiniger:innen porträtieren. Diese erzählen von Ausbeutung und prekären Arbeitsbedingungen, aber auch von Stolz auf ihren Beruf. Tezcan K., der in Basel Strassen reinigt, findet: «Wir sind ein wichtiges Bindeglied in diesem System.»

Im Buch kommt auch eine Sans-Papiers zu Wort, die seit 1997 mit Unterbrüchen in der Schweiz lebt und als Reinigerin arbeitet. Schwarzarbeit ist in der Branche keine Seltenheit. Gesamthaft arbeiten schätzungsweise über 200‘000 Personen in der Schweiz in Reinigungsjobs – legal und irregulär beschäftigt. In den offiziellen Statistiken ist ein grosser Teil der Reinigungsarbeit gar nicht sichtbar. Ein Blick auf die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeichnet dennoch ein klares Bild davon, welche Bevölkerungsgruppen zumeist diese Tätigkeit ausführen: Von den im Jahr 2023 erfassten rund 104‘000 Reinigungskräften in Privathaushalten, Hotels und Büros besassen mehr als zwei Drittel (68 Prozent) keine Schweizer Staatsbürgerschaft und fast neun von zehn Beschäftigten waren Frauen (87 Prozent).

Mónica Tezzi kam Ende 2020 in die Schweiz. Im Gespräch mit der Papierlosen Zeitung erzählt die 53-Jährige, dass aufgrund ihres Alters und der begrenzten Sprachkenntnisse die Arbeit in der Reinigung die einzige Möglichkeit war, beruflich Fuss zu fassen. Anfangs machte sie in der Nacht für wenig Geld Büros sauber. «Viele Reinigungsfirmen stellen ihre Mitarbeitenden nur zu 20 bis 30 Prozent ein, um keine Pensionskassenbeiträge zahlen zu müssen», sagt sie. Sie musste mehrere Jobs annehmen, um über die Runden zu kommen.

Über eine Bekannte erfuhr sie schliesslich von einer Plattform, die die Sache anders angeht als viele herkömmliche Reinigungsfirmen: Reinigerinnen in Zürich haben sich zur Kooperative «Autonomía» zusammengeschlossen mit dem Ziel, für sich und andere faire Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Frauen, die heute dort arbeiten, erhalten einen Stundenlohn, der den GAV-Mindestlohn für Ungelernte von 20.80 Franken um mindestens 30 Prozent übersteigt, inklusive Feriengeld und Krankentaggeld. Nicht nur bei der Entlöhnung geht die Kooperative andere Wege: Die Reinigerinnen besitzen und führen die als Genossenschaft organisierte Plattform gemeinsam.

Bei Autonomía hat Mónica heute mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitseinteilung. So konnte sie ihre Einsätze in die Nähe ihrer Wohngemeinde verlegen und die Nachtschichten, die sie bei früheren Arbeitgebern leisten musste, sind weggefallen: «Jetzt komme ich früher nach Hause und habe mehr Zeit für meine Familie.»

Es ist ein erklärtes Ziel von Autonomía, in der Reinigungsarbeit nicht nur faire Löhne zu etablieren, sondern ihr auch Anerkennung zu verschaffen. Mónica weiss, was es bedeutet, am Arbeitsplatz keinen Respekt zu erfahren. Sie arbeitete einst in einer Fabrik, wo sie Lebensmittel verpackte; da war es gang und gäbe, dass die Chef:innen Mónica und ihre Kolleg:innen anschrien. Zudem erlebte sie im Berufsalltag, wie sich in der Belegschaft Gruppen bildeten – etwa auf Basis der nationalen Zugehörigkeit – und wie diese wiederum andere Menschen ausserhalb der Gruppe ausgrenzten. Bei Autonomía erfahre sie solches nicht, auch wenn hier Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen aufeinandertreffen würden, sagt Mónica. Die Genossenschaft organisiert regelmässig Treffen, wo sie und ihre Kolleginnen Weiterbildungskurse im Bereich Reinigung erhalten, aber auch einfach zusammenkommen und sich austauschen können.

Abwertung und Diskriminierung werden auch dadurch begünstigt, dass fehlende Sprachkenntnisse die Kommunikation erschweren, findet Mónica. Autonomía bietet ihren Reinigerinnen darum kostenlose Deutschkurse an. Auch Mónica muss für ihren Deutschkurs nicht selbst aufkommen: Sie besucht inzwischen einen B1.1-Deutschkurs an der Migros Klubschule – vermittelt von der «Zentralen Paritätischen Kommission Reinigung», die für die faire Umsetzung des Gesamtarbeitsvertrags zuständig ist und Weiterbildungsangebote für Reinigungspersonal organisiert.

All das trägt dazu bei, dass Mónica, die früher in Venezuela als Journalistin gearbeitet hat, die körperlich anstrengende Reinigungsarbeit inzwischen schätzt. «Ich bin sehr stolz auf meine Arbeit; ich habe viel Erfahrung gesammelt und mir Techniken angeeignet, die dafür nötig sind. Ich habe diesen Job lieben gelernt, denn ich spüre, welche grosse Bedeutung meine Arbeit für die Menschen hat, die uns ihr Zuhause öffnen und anvertrauen.» 

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