13. Juni 2019 Fabio Blütenweiss
Ein Zürcher Pfarrer muss eine Geldstrafe zahlen, weil er eine schwer kranke Frau beherbergt hat. Sie hatte keine Aufenthaltsbewilligung. Der Pfarrer sagt: „Die Frau wäre heute tot, wenn ich ihr die Räume nicht zur Verfügung gestellt hätte.“
Schuldig. 5250 Franken Geldstrafe bedingt, ein Strafregistereintrag und Tausende Franken Verfahrenskosten dafür, einer schwer krebskranken und in ihrem Herkunftsland von häuslicher Gewalt betroffenen Frau ein mehrjähriges Obdach in den Räumen der Pfarrei gegeben zu haben: so das erstinstanzliche Urteil am Bezirksgericht Zürich, das kürzlich gegen einen Pfarrer ausgesprochen wurde.
Die Begründung: „Man kann sich auch altruistisch schuldig machen.“ Ein Absehen von Strafe wegen achtenswerter Gründe? Oder weil es sich um einen Notstand handelte, in dem alles andere als Unterstützung nicht denkbar gewesen wäre? Für den Richter nicht der Fall. Er argumentiert mit der „positiven Generalprävention“, die die Gesetzesnorm bekräftigen soll. Wie viel sind die „subjektiv achtenswerten“ Beweggründe und die Kooperation des Beschuldigten wert? Eine Reduktion der von der Staatsanwaltschaft geforderten 40 auf 35 Tagessätze Geldstrafe.
Der Pfarrer hatte zuvor ausgeführt: „Die Frau wäre heute tot, wenn ich ihr die Räume nicht zur Verfügung gestellt hätte.“ Während mehrerer Jahre wohnte eine schwer kranke, in ihrem Herkunftsland von häuslicher Gewalt bedrohte Frau teils sporadisch, teils länger im Notzimmer einer Zürcher Pfarrei. Die Frau musste sich immer wieder Behandlungen im Triemlispital unterziehen wegen ihrer schweren Krebserkrankung.
Dem Gesetz sind humanitäre Beweggründe egal
Der Pfarrer stand vor dem Bezirksgericht Zürich und musste sich wegen eines Vergehens gegen das Gesetz verantworten. Kriegt man das zusammen? – Nur wenn man weiss, dass die Erleichterung des rechtswidrigen Aufenthalts in der Schweiz unter Strafe steht. Der Paragraf 116 des Ausländergesetzes sieht vor, dass mit bis zu 1 Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe belegt werden kann, wer zur Förderung oder Erleichterung der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthalts beiträgt. Beweggründe? Egal.
Anni Lanz, Lisa Bosia, Norbert Valley und andere haben Menschen in Not unterstützt. 2017 gab es mehr als Tausend Verurteilungen wegen Förderung des illegalen Aufenthalts in der Schweiz. Bei vielen geht es um die Unterstützung von Angehörigen oder Bekannten, die als Sans-Papiers in der Schweiz arbeiten. Bei einigen gibt es kriminelle Beweggründe wie Bereicherung und Ausbeutung. Für sie wurde der Paragraf geschaffen.
Er greift aber auch bei jenen wie dem Pfarrer, denen es um Solidarität zwischen Mensch und Mensch geht, die durch den Staat kriminalisiert wird. Nicht die Kirche, nicht sonst jemand dürfe die Gesetze nach seinem eigenen Gutdünken auslegen, wenn das Gesetz staatliches Handeln vorsehe, denn das Migrationssystem funktioniere in der Schweiz ja ordentlich. So die Replik des Richters auf diese Begründungen, und er schliesst: „Danke für Ihr Engagement.“
Der Verteidiger bewertete das Strafverfahren als eine „Absurdität“ und plädierte für eine grosszügige Auslegung des Artikels: „Alles andere treibt einem die Schamröte ins Gesicht.“ Es handle sich um einen klassischen Fall von Kirchenasyl, denn der Polizei und den Behörden sei das Notzimmer der Pfarrei längst bekannt, es komme auch zu vielen Anfragen für Unterbringungen von Menschen mit Unterstützungsbedarf durch das Sozialamt. „Es wäre der Polizei also ein Leichtes gewesen, die Frau zu kontrollieren und abzuholen; die Polizei hat aber, zu Recht, aktiv weggesehen.“ Schliesslich habe sein Mandant eigentlich nur etwas versäumt: „der Frau zu empfehlen ein Asylgesuch einzureichen.“ Er hat sich einfach nicht um ihren Aufenthaltsstatus gekümmert.
Überdies sei rechtswidriges Verhalten zur Abwendung einer unmittelbaren Gefährdung von Leib und Leben auch juristisch gerechtfertigt, weil es nämlich ein Handeln im Notstand konkretisiere, das aufgrund höherer Interessen den Gesetzesbruch in Kauf nehme und durch Artikel 17 und 18 des Strafgesetzbuchs gedeckt sei. „Es ist also nicht nur ein theologisches, sondern auch ein juristisches Anliegen, den Pfarrer freizusprechen.“ Und zitierte einen Zürcher Theologen, der sich zum Thema geäussert hat: „Wann wird mein Herz auch eine Hand?“
Parlamentarische Initiative will Kriminalisierung von Hilfe bekämpfen
Eine hängige parlamentarische Initiative von Lisa Mazzone fordert, Artikel 116 des Ausländer- und Integrationsgesetzes dahingehend abzuändern, dass jene, die Hilfe zur «rechtswidrigen Einreise» oder zum «rechtswidrigen Aufenthalt» leisten, nicht mehr bestraft werden, wenn ihre Motive ehrenhaft sind. Eine vergleichbare Regelung gibt es nicht nur in zahlreichen europäischen Ländern, sondern gab es auch im früheren Schweizer Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern (ANAG).
Der Bezirksrichter selbst kam in der Würdigung des Verhaltens in der mündlichen Urteilsbegründung auf den „zivilen Ungehorsam“ zu sprechen. Dieser könne auch als eine Form verstanden werden, um zur Rechtsentwicklung in der Zukunft beizutragen. Sprach sogar von einer Art Märtyrertum, um dann die Strafzumessung der Staatsanwaltschaft in allen wichtigen Punkten zu übernehmen. Wieso? Die Strafe müsse in Kauf nehmen, wer einen Akt zivilen Ungehorsams begehe. So seine Auffassung konsequenten Handelns.
Hoffentlich nimmt das Parlament den Ball auf, damit mutlose Richter fürs Engagement nicht mehr danken müssen und nur die Scham im Saal von Justitia zurückbleibt. Es ist Zeit, diese unerträgliche Kriminalisierung simpler und praktischer Solidarität zu beenden.