1. Mai 2010 BTC
Es war nicht meine Absicht, mein Haus durch den Hinterhof zu verlassen, als ich am Morgen aufwachte. Aber was sich da auf mein Haus zubewegte, waren unerwünschte Gäste von der Gemeindepolizei.
Diese Leute erklärten meiner Frau, dass sie mit mir sprechen möchten. In diesem Moment bemerkte ich, dass sie mich verhören wollten, da sie dachten, ich sei gegen die Regierungspartei, was ja auch zutreffend war. Dann tat ich eine unglaubliche Sache: Ich verliess mein Haus durch den Hinterhof und versuchte bei meinen Nachbarn Schutz zu finden. Doch es wussten bereits alle, warum ich von der Polizei gesucht wurde, da dies in der Nacht davor von den Bewohnern in einer Bar besprochen wurde. Dann versuchte ich mich für einen Monat zu verstecken, die Polizei war immer vor meiner Haustür – zu jeder Stunde. Sie hofften mich abzufangen, wenn ich nach Hause kam, doch sie hatten kein Glück, ich kehrte nicht mehr nach Hause zurück. Ich wollte nicht ins Gefängnis, ich hatte Angst vor den Dramen, die sich dort Tag für Tag abspielen.
Die Polizei scheint nicht mehr als eine Marionette der Regierung zu sein. Befehle werden ausgeführt – Gerechtigkeit gibt es nicht.
So blieb mir als einziger Ausweg, als einzige Möglichkeit frei zu sein, die Flucht über Metema in den Sudan. Ich bat Familie und Freunde um ein Darlehen, nahm das Nötigste mit und machte mich auf den Weg. Die Reise über die Grenze bis nach Karthum war nicht schwierig. Dort verhandelten wir mit einer Gruppe um die Weiterfahrt nach Libyen, wir waren 33 Personen, davon 9 Mädchen, in einem Toyota. Die Reise durch die Sahara kann man sich nur schwer vorstellen, Sand so weit das Auge reicht und dazu kommt die brennende Hitze der Sonne. Eine Gegend ohne Schutz, Nahrung und Wasser. Um Wasser zu sparen, gaben unsere Anführer ein wenig Benzin ins Trinkwasser, damit die Leute nicht zu viel davon tranken.
Nach einer Tagesreise wurden wir von einer Gruppe bewaffneter Männer angegriffen und aufgefordert ihnen alles zu geben, was wir besassen: Geld, Armbänder, Schmuck... Sie schossen in die Luft um uns klar zu machen, dass sie ohne zu zögern auch uns erschiessen würden, falls wir nicht taten, was sie verlangten. Als sie bei einem Jungen noch Geld fanden, erschossen sie ihn direkt vor unseren Augen. Nach 5 Tagen erreichten wir die Küste von Libyen – doch nicht alle von uns. Denn die Mädchen wurden von den bewaffneten Männern entführt und an einen Ort gebracht, von dem ich bis heute nichts weiss.
Nun erwartete mich noch der dritte Schritt meiner Misere, die Überquerung des Mittelmeers – mit dem Ziel in ein Land zu kommen, in dem Menschen als Menschen respektiert werden, oder zumindest die Chance besteht ein würdiges Leben zu führen. Bevor ich die Weiterreise antreten konnte, musste ich Geld verdienen, denn die Preise sind überrissen, was eine schwere Belastung darstellte. Es blieb mir also nur die Möglichkeit eine Arbeit zu finden und mit einigen Freunden einen Platz zu suchen, an dem ich bleiben konnte, bis ich das Geld zusammen hatte. Die täglichen Arbeiten, die ich erledigte, reichten nicht aus, um dem Elend zu entfliehen. So versuchte ich über Freunde, die schon länger dort waren, einen besseren Job zu finden. Nachdem ich während sechs Monaten auf einer Baustelle gearbeitet hatte, hatte ich zumindest genug Geld gespart um das Boot zu bezahlen, das vielleicht erfolgreich das Meer überqueren würde, oder vielleicht auch nicht. Doch die einzige Hoffnung, die mir blieb, war diese Überfahrt. Die Fahrt über das Meer ist nicht gerade eine glückliche Lösung, denn, wenn man Pech hat, wird man zur Nahrung für die Fische oder ertrinkt auf Grund eines gefährlichen Sturms. Nachdem ich den geforderten Betrag bezahlt hatte, hiess es warten, warten, warten, denn die Abfahrt hing von den Wetterbedingungen ab.
Eines Tages wurde gesagt, dass das Wetter verhältnismässig gut war und wir die Reise in der Nacht antreten konnten. Das einzige, was ich den Gefahren des Meeres entgegenzusetzten hatte, war das Beten zu Gott. Nach einigen Stunden wurde das Meer unruhig, ich sah die Angst in den Gesichtern der anderen und wir begannen alle um unser Leben zu beten, denn wir hatten gehört, dass der Kapitän bereit sei, einige Passagiere über Bord zu werfen, falls das Boot überladen ist. In diesem Moment verfluchte ich meine Regierung, die mich dazu gezwungen hatte, dieses Risiko auf mich zu nehmen. Ich versuchte zu beten, doch ich konnte mich nicht konzentrieren. Nach sieben Tagen der Qual wurden wir von der italienischen Küstenwache gerettet und in eine Kaserne gebracht.
So reiste ich schlussendlich in die Schweiz ein, in der Hoffnung, dass nun endlich alles besser würde. Doch mein Asylgesuch wurde abgelehnt. Zwei Mal wurde ich sogar ins Gefängnis gesteckt. Heute wohne ich in einer Notunterkunft und erhalte nur Migros-Gutscheine zum Überleben.