10. Dezember 2016 Katharina Morello und Jennifer Steiner
Dieses Hotel ist ein Gegenbeispiel zur unwürdigen Flüchtlingspolitik am Rande der Festung Europa: Das City Plaza in Athen. Vor mehr als 100 Interessierten berichteten Aktivist*innen aus Athen in der Autonomen Schule Zürich über das Wohnprojekt für 400 geflüchtete Menschen. – Einige Erzählungen und Gedanken über diesen Zufluchtsraum.
«Kein Pool, keine Minibar, kein Roomservice und trotzdem das beste Hotel Europas» – so lautet das ganz unbescheidene Selbstverständnis der gegenwärtigen Bewohner*innen des City Plaza in Athen. Das Hotel, Symbol der griechischen Krise und jahrelang geschlossen, ist seit einem halben Jahr wieder voller Leben: Im Frühling 2016 wurde das siebenstöckige Gebäude von Geflüchteten und Aktivist*innen besetzt und ist seither ein solidarischer Zufluchtsraum für 220 Erwachsene und 180 Kinder.
Mit dem Projekt mitten in Athen zeigen die Initiant*innen, dass es auch anders geht. Damit wollen sie nicht die Arbeit des Staates übernehmen, vielmehr verstehen sie das Projekt als Kritik am System. Aber auch als Ort, wo es im Kleinen, im Alltag anders läuft. Wo geflüchtete Menschen selbst über ihr Leben bestimmen und gestalten können. Das Hotel hat 120 Zimmer. Wenn es voll ist, ist es voll. Auf der Warteliste stehen die Namen von 850 Familien, die aus einem der offiziellen Flüchtlingscamps in das beste Hotel Europas wechseln wollen...
Das City Plaza versteht sich – ähnlich wie die Autonome Schule – explizit nicht als karitatives Hilfsprojekt, das machen die Aktivist*innen bei ihrem Besuch in Zürich deutlich. Vielmehr soll das Hotel ein Ort der Gleichberechtigung und Solidarität sein: eine Alternative zur Festung Europa mit ihren Grenzen der Schande, die gegenwärtig alleine in Griechenland mehr als 50‘000 Menschen haben stranden lassen. «It’s not about giving, it’s about exchanging and learning from each other», sagt Aktivistin Olga: Im Vordergrund stehen Wissensaustausch und gemeinsame Lernprozesse. Das trotz dieser Ideale immer auch Machtungleichgewichte und Wissenshierarchien entstehen, ist unvermeidlich. Die Frage ist, wie man damit umgeht. Oder wie Olga formuliert: «Things are not given, it’s a struggle, but it’s a common struggle.»
Was das Projekt City Plaza aus unserer Sicht zusätzlich auszeichnet, ist das Bestreben, über die Frage von Flucht und Migration hinaus eine Verbindung zu weiteren sozialen Kämpfen herzustellen: Es geht um Austeritäts-, Wohn- und Gesundheitspolitik, um Fragen der sozialen Integration und Selbstorganisation. Rechte, etwa auf Wohnen oder Gesundheitsversorgung, werden im City Plaza real produziert und von hier ausgehend auch in einem grösseren sozialen Kontext gefordert. «We produce the right to housing, health and education and demand these rights for everyone», sagt eine Aktivistin.
Das Hotel Plaza befindet sich in einem Stadtteil Athens, in dem die rechtsextreme Partei «Goldene Morgenröte» auf besonders viel Zuspruch stösst. Das Verhältnis zur Nachbarschaft gestaltet sich, insbesondere zu Beginn der Besetzung, denn auch alles andere als einfach. Die Bewohner*innen sehen sich starkem Misstrauen und üblen Beschimpfungen ausgesetzt. «Ich rechnete nicht damit, dass wir das lange durchstehen», erzählt Aktivistin Olga. Mittlerweile habe sich die Lage aber entspannt. Argwohn und Vorurteile konnten durch viele kleine Begegnungen Stück für Stück beseitigt werden. Es bleibt das angespannte Verhältnis zur Stadt, welche dem Hotel in subtiler «Untergrund-Repression» hin und wieder mal Wasser oder Strom abstellt.
Das Wasser, insbesondere die Wasserleitungen, sind ohnehin ein schwieriges Thema. Das City Plaza ist ja ein Hotel. 120 Zimmer auf sieben Stockwerken, jedes mit einem Badezimmer. Es gibt eine Arbeitsgruppe, die sich jeden Tag nur mit den Rohren beschäftigt. Ständig ist eines verstopft oder es leckt irgendwo. Alles zu sanieren – davon können die Betreiber*innen des besten Hotels Europas nur träumen. Woher 100'000 Euro nehmen? Es wird geflickt, so gut es geht. Und weitergemacht, so lange die Kräfte reichen.
Am Tag nach dem Vortragsabend in der WG eines ASZ-Aktivisten. «Was für ein Frühstück! Hier gehen wir nicht mehr weg!», scherzt Olga. Im City Plaza falle die Verpflegung deutlich einfacher aus. «Unser Budget beträgt ein Euro pro Person und Tag. Das muss fürs Essen und alles reichen. Es ist das Minimum. Darunter können wir nicht gehen.» Teigwaren, Reis und so kaufen sie beim Grosshändler, für frische Waren gehen sie auf den Markt und feilschen. Gekocht wird für alle zusammen. Seit sieben Monaten bietet sich hier vierhundert geflüchteten Menschen eine Alternative zum Leben im Zeltlager. Olga und ihre Kolleginnen sind seit dem Anfang dabei. Sie haben ihre Jobs aufgegeben und teilen das Leben im Hotel. Für einen Euro pro Tag. Und ohne Lohn.
Nur drei Stunden lang in der Nacht gibt es im City Plaza heisses Wasser, was allerdings zweitausend Euro Mehrkosten im Monat bedeutet. Jetzt im Winter können sie nicht darauf verzichten. Es leben Kinder im Hotel. «Und wenn wir auch noch heizen müssen, kostet es sechstausend mehr!», erzählt Olga und verdreht die Augen. Dann verabschiedet sie sich vom Frühstückstisch, um sich vor der Weiterfahrt noch rasch den Luxus einer ausgiebigen warmen Dusche zu gönnen. Wenn schon mal die Möglichkeit dazu besteht.
Eines Tages kam im City Plaza ein Mann durch die Tür und legte bei der Rezeption ein paar hundert Euro auf den Tresen. Er arbeite als Flugbegleiter, sagte er, und er habe eben einen kurzen Aufenthalt in Athen. Vom besten Hotel Europas las er in der Zeitung. Das Projekt fasziniere ihn, er wolle es gern unterstützen. Dann ging er. Doch er kam wieder. Jedes Mal, wenn ihn seine Airline nach Athen führt, bringt er ein paar Hunderter vorbei. Wenn wieder einmal das Geld in der Kasse knapp wird, fragen die Initiator*innen des City Plaza bereits: Wo ist er? Wo bleibt unser Flugbegleiter?