1. Mai 2015 Daniel Ghebretsinae
Der folgende Text sind Worte eines Aktivisten der ASZ. Sie wurden während eines Gesprächs festgehalten und collageartig zusammengeschnitten. Sie erzählen vom Leben in Eritrea, von der Flucht und von den Problemen des F-Status in der Schweiz.
Von 1996 bis 2000 studierte ich in einem Kloster in Westeritrea. Nachher ging ich auf eine andere Schule in Meileham. Das Militär kam in der Nacht, um drei Uhr oder so. Sie wollten alle mitnehmen. Wir waren 60 Leute. Wir sind um halb drei aufgestanden und haben gelernt. Elf Personen wurden schliesslich ins Militär nach Sawa gebracht. Zehn von diesen sind geflohen. Die Leute aus dem Dorf behaupteten, dass wir, die im Kloster waren, aus dem Militär geflohen seien, weil wir junge Männer waren.
Nach vier Monaten im Militär bin ich geflohen. Das war im Jahr 2002. Ich bin alleine geflohen. Während sieben Tagen. Ich bin während einer Schiessübung weggerannt. Drei Tage ohne Essen. Nach drei Tagen habe ich Nomaden gefunden. Sie haben mir Milch gegeben. Sie zeigten mir den Weg. Sie sind gegen den Präsidenten.
Wenn ich ins Kloster zurückgegangen wäre, hätte ich wieder ins Militär gehen müssen. So ging ich in die Hauptstadt. Dort blieb ich während drei Jahren in einer Kirche. Dann bin ich wieder geflohen. In den Sudan. Ich bin geflohen, weil ich in der Hauptstadt nicht in Freiheit leben konnte.
Ich habe viel Glück gehabt auf meiner Flucht. Wir waren zu zweit.
In Benghasi in Libyen hat uns nach zwei Tagen die Polizei gefunden. Wir mussten zwei Wochen ins Gefängnis. Alle. Auch der Fahrer. Es waren 67 Leute. Männer und Frauen. Nach zwei Wochen wurden die Frauen entlassen. Auf der ganzen Reise hatte ich ihnen viel geholfen mit dem Gepäck. Eine Mutter hat der Polizei gesagt: «Er ist mein Sohn.» So konnte ich auch aus dem Gefängnis raus. Wieder Kufra. Benghasi, nachher Tripolis.
Tripolis ist schwer zu traversieren. In Benghasi gibt es einen eritreischen Schlepper. Er vermittelte uns einen Mann, der Menschen in seinem Tomatenwagen transportiert. Er lädt die Tomaten in Kisten gepackt in seinen Lastwagen, sie formen ein Haus. Er lässt eine kleine Lücke, die Türe. Die Leute sitzen in der Mitte. Von aussen denkt man, es sei ein Tomatentransporter. Drinnen sind Leute. Dreissig oder auch vierzig. Manchmal hat man während 12 Stunden keine Luft. Manchmal weinen die Leute, schreien, weil das Blut nicht mehr zirkuliert. Die Polizei hört das. Seit kurzem geben sie den Leuten Schlaftabletten vor der Abfahrt, dann schlafen alle.
In Libyen musste ich das Schiff nehmen. Ein Schiff? Nein. Ein Boot. Aus Gummi. Ein Schlauchboot, ja ich war auf einem Schlauchboot. Wir waren 47 Personen. Es ist gefährlich. Wir wurden kontrolliert. Messer und Gurt sind gefährlich. Viele Leute sind so gestorben. Es gibt einen Chef, der sagt: «Bitte sitzen!» Wir hatten keine Schwimmwesten. In Libyen kann man zwar welche kaufen, aber wir hatten keine. Die Überfahrt Libyen–Italien dauert 36 Stunden. Dann bist du in der Mitte vom Meer. Es war Dezember. Es war kalt, das Wasser war unruhig. Wir durften uns nicht von der Stelle bewegen. In der Mitte vom Meer hat die italienische Polizei uns geholfen. Mit einem grossen Schiff gingen wir nach Lampedusa. Etwa 10 Stunden dauerte das noch. Wir waren froh, als wir in Lampedusa ankamen. Wir haben Glück gehabt. Viele Leute sind bei der Überfahrt schon gestorben.
Von Mailand aus ging ich dann in die Schweiz. Ich bezahlte 200 Euro und fuhr mit dem Zug bis in die Nähe der Grenze, dann gingen wir zu Fuss über die Berge. Im Tessin hat uns die Polizei gefunden. Fingerabdruck. «Geht zurück nach Italien.» Doch sie haben mich gelassen. Unser Schlepper hat uns ein Zugticket nach Zürich gegeben. Von Freunden habe ich gehört, dass ich in der Schweiz schnell Arbeit finden kann. Darum bin ich hier.
Ich habe in der Schweiz zwei Jahre gewartet, bis ich eine F-Bewilligung bekommen habe. Wenn man ein F hat, kann man nicht ruhig schlafen. Weil du weisst, irgendwann musst du weg. Irgendwann, wenn in deinem Land Frieden ist. Wenn ich ins Heimatland zurückgehe, muss ich ins Gefängnis, weil ich aus dem Militär geflohen bin.
Wenn man ein F hat, kann man nicht ruhig schlafen. Weil du weisst, irgendwann musst du weg.
Mit einem F ist es schwierig. Auch wenn du nur ein kleines Problem machst, ist es immer schwierig mit der Polizei. Sie suchen immer einen Fehler. Auch wenn sie den Fehler machen, suchen sie bei dir den Grund. Die Leute denken, F-politisch heisst, dass die Leute sowieso bald wieder weggehen.
2011 war ich krank. Meine Betreuerin sagte, ich müsse trotzdem zur Arbeit gehen. Ich habe ihr ein Arztzeugnis gegeben. Sie haben mir 15 Prozent von meinem Sozialgeld gestrichen. Ich musste unterschreiben. Ich wollte nicht unterschreiben. Sie haben die Sozialpräsidentin angerufen. Ich hätte in dieses Büro gehen müssen, ich ging nicht. Dann haben sie die Polizei gerufen. Die Polizei hat mich in mein Zuhause gefahren. Die Betreuerin hat angerufen und gesagt, ich müsse unterschreiben. Ich war wütend, ich habe geweint, ich habe auf den Tisch geschlagen, ich habe das Papier weggeworfen. Dann musste ich ins Gefängnis. 24 Stunden. 1700 Franken Busse.
Ich habe 2012 in Äthiopien geheiratet.
Um meine Frau in Äthiopien zu sehen, wollte ich von meiner Arbeit Ferien nehmen. Ich habe zuerst mit meinem Arbeitgeber gesprochen. Ich arbeitete 100%. «Du kannst weggehen», sagte er, aber zuerst müsse ich mit meiner Betreuerin sprechen. Diese hat gesagt, sie spreche mit dem Chef. Ich habe zwei Wochen gewartet, sie hat mir nie geantwortet. Ich bin drei Mal persönlich vorbeigegangen. Sie war immer besetzt. Dann wäre mein Ticket nach Äthiopien abgelaufen. Ich habe der Sekretärin gesagt, dass ich telefoniert habe und dass ich auch vorbeigekommen sei. Dass ich jetzt nach Äthiopien gehe. Ich flog am 7.5.2013 und blieb einen Monat. Ich ging nach Äthiopien, um meine Frau zu sehen. Ich darf einen Monat weg sein. Im Juli, August und September haben sie mir keine Miete bezahlt und keinen Grundbedarf, weil ich einen Monat in Äthiopien war.
Ich habe hier in der Schweiz einen Antrag auf Familiennachzug gestellt. Drei Mal habe ich negativ bekommen. Mein Anwalt hat mir gesagt, dass ich zuerst eine Arbeit finden muss und eine Wohnung und genug Geld verdienen muss. Ich versuche eine Arbeit zu finden. Aber viele Arbeitgeber sagen, mit F können wir dich nicht einstellen. Jetzt ist meine Frau auch über Libyen geflüchtet. Sie hat Glück gehabt. Seit Juni 2014 ist sie hier.
Der Weg in die Schweiz war für mich kein Problem. Die ganze Geschichte der Flucht war kein grosses Problem. Ich weiss, ich habe Glück gehabt auf der Flucht. Aber das hier in der Schweiz ist für mich der schwierige Weg. Hier ist es für mich ein Problem, weil sie sagen, dass alle gleich seien. In unserem Land haben alle das gleiche Problem. Aber hier bekommst du manchmal B, manchmal F, manchmal wird dein Asylgesuch abgelehnt. Es ist willkürlich. Wieso?
Aufzeichnung von Miriam Meyer