7. Februar 2013 Raphael Jakob
Die ASZ muss bald weg vom Güterbahnhofsareal. Die kleine Baracke am Fusse des riesigen Backsteingebäudes, in der einst Frachtbriefe ausgestellt wurden und die später leer stand, war für drei Jahre ein Schulhaus, ein Treffpunkt, eine Initiative gegen Ausgrenzung und Verdrängung.
Drei Jahre sind für dieses selbstorganisierte und autonome Bildungsprojekt, das innerhalb von 16 Monaten an zehn verschiedenen Orten war, eine lange Zeit.
Nicht nur die ASZ muss weg, sondern auch das gesamte geschichtsträchtige Güterbahnhofsgebäude. Die Stadt Zürich wird umgewälzt. Vom Hauptbahnhof über die Stadtkreise 3, 4 und 5 bis in die Industriezone Altstetten prägen Kräne und Baustellen die Optik. Es wird gebaut als gäbe es kein Gestern und kein Morgen.
Die BINZ, in der sich über Jahre eine autonome, unkommerzielle Lebens-, Arbeits- und Kulturgemeinschaft entwickelte, soll einem pseudosozialen Projekt der milliardenschweren Pensionskasse Abendrot zusammen mit dem SVP Mitglied Werner Hofmann weichen, die dort «student boxes» bauen wollen. An der Sihlfeld- und Weststrasse donnerte über Jahrzehnte der Schwerverkehr vor den Fenstern der Anwohnenden vorbei. Heute lebt es sich dort hoch lebensqualitativ mit Sitzbänken unter Bäumen. Doch auf die Verkehrsberuhigung folgt die Zwangsumsiedlung. Diejenigen, welche den Verkehrslärm ertragen mussten, dürfen von der neuen Lebensqualität nicht profitieren. Gemäss dem Schweizer Fernsehen wurde über 50% der ehemaligen Mieterschaft gekündigt.
Mit der Gentrifizierung werden auch das Strafsystem und die Repressionsmethodik neu organisiert. Der Kanton Zürich lässt mit Zustimmung des Stimmvolkes auf dem Areal des Güterbahnhofs ein Polizei- und Justizzentrum bauen. Das sogenannte «Kompetenzzentrum für die Bekämpfung der Kriminalität» vereint die Polizei der Stadt und des Kantons an einem vitalen Ort, mitten im Kreis 4. Schon damals, als die Militärkaserne im 19. Jh. genau an die Grenze zwischen dem bürgerlichen Stadtzentrum und den Arbeiterquartieren von Zürich Aussersihl gebaut wurde, bestand «ein Zusammenhang zwischen ökonomischem Denken in der Stadtentwicklung und strategischem Denken in der Kriegsführung»1.
Das Langstrassenquartier und die anliegende Bäckeranlage sind schon seit vielen Jahren im Hauptfokus der Polizeipräsenz. Was von der Politik als Förderung der Attraktivität eines Stadtteils und als Aufwertung angepriesen wird, gilt nur für den privilegierten Gesellschaftsteil. Gleichzeitig ist diese Politik verbunden mit einem regelrechten Krieg gegen die Unterschicht. Jugendliche werden kontrolliert und weggewiesen, Randständige und Arbeitslose diszipliniert und vom system-integrierten Bevölkerungsteil ferngehalten, Kleindealer als die ganz Bösen dargestellt und somit legitimiert, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe und ausländischem Aussehen überall und permanent kontrolliert werden können. Ungern erinnern wir uns an den Frühling 2011, als vor der ASZ über Wochen rassistische Polizeikontrollen gegen die Kursteilnehmenden stattfanden.
Polizeiliche Strategien wie die Broken-Windows Theorie2 oder Zero Tolerance haben in Zürich Hochkonjunktur. Ursprünglich stammen diese Theorien aus den USA , wo sie mittlerweile selbst in konservativen Kreisen kritisiert werden, weil sie schlicht und einfach die Probleme, welche die Regierung zu bekämpfen vorgibt, an andere Orte verlagern und extrem teuer sind. Im Neoliberalismus gilt laissez-faire nur für die oben, für die unten gibt’s Knast und Polizei. Die Verlagerungs- und Gentrifizierungsprozesse in der Stadt verlaufen nicht planlos, sondern entsprechen der heutigen kapitalistischen Marktlogik.
Die links-grüne Stadtpolitik gibt vor, dass eine Durchmischung der Quartiere, wo verschiedene sozioökonomische Schichten und ethnisch-kulturelle Hintergründe zusammenleben, positiv sei. Doch diese «Eine Stadt für alle»-Parole ist eine Worthülse. In Wirklichkeit hat die Aufwertung von Stadtteilen eine Verdrängung der ärmeren Bevölkerung durch Besserverdiendende zur Folge und autonome Projekte werden dichtgemacht.
1) «Aussersihl: zwischen Schlachtfeld und Spielwiese» in Theo Ginsburg, Hansruedi Hitz, Christian Schmid, Richard Wolff (Hrsg.): Zürich ohne Grenzen, Zürich 1986.
2) Die Broken-Windows Theorie geht davon aus, dass die sofortige und unnachsichtige Verfolgung jedes noch so kleinen Vergehens oder sonstigen Ärgernisses auf den Strassen das Aufkommen grösserer Delikte verhindere, in dem sie für ein «gesundes» Klima der Öffentlichen Ordnung sorge (Loïc Wacquant, Bestrafen der Armen, Verlag Barbara Budrich, 2009, S 268).