16. Mai 2022 Frauengruppe ASZ

Ein Raum der Solidarität und Stärke

"Hier fühlte ich mich von Anfang an frei." Ein Gespräch darüber, was der Frauenraum für die Autonome Schule bedeutet.

Dieser Text ist aus verschiedenen Gesprächen entstanden. Zuerst haben wir uns in einem Interview ausgetauscht. Dann haben wir den Text gemeinsam bearbeitet. Die Gesprächsform haben wir beibehalten, weil sie gut zeigt, wie die Frauen*gruppe funktioniert. Dabei waren: Rougui mit Hamdiatou, Nuria, Lisa, Tsige, Elodie, Jessy, Martina, Çağdaş, Biskute


Die Frauen*gruppe der Autonomen Schule trifft sich immer im Frauen*raum. Was bedeutet euch dieser Raum?
Lisa: Der Frauen*raum ist extrem wichtig. Wir sind sehr unterschiedliche Frauen, haben verschiedene Alter, Interessen, eine unterschiedliche Herkunft. Deswegen ist es wichtig, einen Ort zu haben, wo wir zusammen sein können. Ohne diesen Raum wären wir nicht zusammen, er schafft eine Verbindung.

Nuria: Ich komme gerne, wenn ich kann. Heute war ich im Deutschkurs und bin für die Frauen*gruppe geblieben.


Ohne diesen Raum wären wir nicht zusammen, er schafft eine Verbindung.


Rougui: Das Zusammensein ist auch wichtig wegen der Sprache. Wenn wir uns in der Frauen*gruppe treffen, reden wir meist Deutsch, das ist eine gute Übung. Ich war neu hier, konnte kein Deutsch, kannte niemanden, war schwanger. Einen Monat nach der Geburt meiner Tochter bin ich bereits wieder an die ASZ gekommen. Die Frauen*gruppe hat auch mit der Betreuung geholfen. Und ich konnte im Frauen*raum meine Tochter stillen, ohne meine Brust zu bedecken. In Guinea, wo ich herkomme, ist es kein Problem, in der Öffentlichkeit ein Baby zu stillen, man schämt sich nicht, alle sehen das. Aber hier wusste ich nicht, ob das so ist. Im Frauen*raum fühlte ich mich frei, zum Stillen, wofür auch immer. In meiner Unsicherheit – ich bin neu hier, ich weiss nicht, wie die Dinge hier funktionieren – hat mir der Frauen*raum sehr geholfen. Hier fühlte ich mich von Anfang an frei, es waren nur Frauen da.

 


Elodie: Wir essen auch manchmal zusammen Znacht. Alle bringen etwas mit und teilen. So entsteht Solidarität. Dann sprechen wir auch über unsere politischen Probleme und Wünsche. Wir haben ausserdem ein Frauen*café organisiert. Es war sehr schön, am Freitagnachmittag zusammen Kaffee zu trinken und sich auszutauschen. Es sind ganz viele Frauen gekommen. Auch wenn jemand Hilfe brauchte, z.B. mit einer Übersetzung oder um einen Brief zu schreiben. Es kamen viele Frauen aus den Asylzentren. Wir werden das Frauen*café wieder öffnen. Ein paar neue Frauen haben bereits Interesse.

Ihr könntet ja auch im ASZ-Café miteinander reden. Warum ist es wichtig, dass die Frauen* einen eigenen Raum haben?
Lisa: Wir haben einmal gemeinsam einen Film gemacht. Da geht es um Situationen, die wir uns als Frauen nicht wünschen und die jede von uns immer wieder erlebt. Eine von diesen Situationen ist im Café: Eine Frau kommt rein und merkt, dass sich eine besondere Aufmerksamkeit auf sie richtet – weil sie eine Frau ist. Und das lenkt ab. Deshalb fühle ich mich im Frauen*raum entspannter, freier. Ich denke: Es ist kein Raum, der Menschen ausschliesst. Es ist ein Raum, der es Menschen, die sonst weniger Privilegien haben, erlaubt, Ruhe zu haben. In diesem Fall sind Männer privilegiert: Sie können an vielen Orten sein und sich sicher und wohl fühlen. Im Frauen*raum können sich Frauen treffen, die nicht das Privileg haben, dass sie überall entspannt sind. Dann sind andere Gespräche möglich. Wir können hier über unsere Körper sprechen, übers Kinderkriegen, auch über Übergriffe. Diese Themen kommen sonst nicht auf. Aber jede Frau hat etwas dazu zu sagen.

Çağdaş: Das sind dann politische Themen, weil das Private politisch ist! Es ist nicht das Problem der Frau, wenn sie belästigt wird. Es ist das Problem unserer patriarchalen Gesellschaft, die – wie überall – auch an der ASZ sichtbar ist. Für solche Gespräche braucht es viel Vertrauen und Solidarität. Diese entstehen, weil wir uns im Frauen*raum ungestört treffen können. Um das nach aussen zu tragen, gehen wir auch gemeinsam an Demos und sprechen über diese.


Wir können hier über unsere Körper sprechen, übers Kinderkriegen, auch über Übergriffe. Diese Themen kommen sonst nicht auf. Aber jede Frau hat etwas dazu zu sagen.



Rougui: Ich finde es auch wichtig, dass der Raum für alle Frauen ist. Für eine Muslima ist der Raum zum Beispiel wichtig, weil sie ihr Kopftuch wegnehmen kann. Im Frauen*raum können die Frauen auch beten. Wichtig ist der Raum auch, und hier rede ich als Ausländerin, damit wir uns integrieren können. Wenn ich auf der Strasse Schweizer Frauen ansprechen würde: «Hallo, ich möchte dich kennenlernen», wäre das komisch. Im Frauen*raum aber kommen wir automatisch ins Gespräch und lernen uns kennen.

Tsige: Ich treffe hier gern andere Frauen. Ich bin allein in der Schweiz. Aber im Frauen*raum treffe ich viele Frauen, die mir schon viel geholfen haben. Ich habe ein Härtefallgesuch gestellt und andere Frauen haben eine Referenz geschrieben. Was auch sehr schön war, waren die gemeinsamen Sommerferien. Ich bin seit sieben Jahren in der Schweiz, und es waren meine ersten und einzigen Ferien bis jetzt. Ich habe dort viele Frauen kennengelernt und Deutsch geübt. Ich bin sehr froh, dass ich die Frauen*gruppe gefunden habe.

Lisa: Es ist so wichtig, dass man sich kennenlernt. Ohne den Frauen*raum würde das nicht passieren. Nuria hat dich, Tsige, mitgebracht, oder? So funktioniert es: Eine Frau bringt eine andere mit. So vernetzen wir uns.

Biskute: Ja das stimmt, so habe ich viele Frauen kennengelernt. Das ist wichtig. Wir diskutieren zusammen Frauenprobleme und helfen uns. Es kommen Frauen aus verschiedenen Ländern, mit verschiedenen Kulturen. Wir lernen viel voneinander. Es ist gut, dass es jetzt wieder ist wie vor der Corona-Zeit.

Jessy: Die persönlichen Treffen habe ich sehr vermisst während der Corona-Zeit.

Rougui: Wir haben versucht, uns per Zoom zu treffen. Das war nicht das Gleiche.

Tsige: Einmal, vor Corona, haben wir Frauen im Asylheim in Adliswil besucht.

Lisa: Ja, das haben wir schon auch manchmal gemacht, zusammen an andere Orte zu gehen. Denn manche Frauen haben einen weiten Weg, oder kein Geld fürs Ticket. Wir haben den Raum hier auch gemeinsam gebaut: Wir haben die Wände gebaut, um den Raum abzutrennen.


Den Frauen*raum hat es an der Schule also nicht von Anfang an gegeben?
Jessy: Wir mussten den Frauen*raum immer wieder verteidigen. Als wir ans Sihlquai gezogen sind, lag der Raum für die Kinderbetreuung zum Beispiel gleich nebenan. Es wurde automatisch erwartet, dass sich die Frauen auch gleich um die Kinderbetreuung kümmern. Wir mussten uns immer wieder dafür einsetzen, einen eigenen Raum zu haben, der nicht der Kinderspielplatz ist.


Warum soll der Raum kein Kinderspielplatz sein?
Jessy: Weil nicht automatisch die Frauen für die Kinderbetreuung da sein sollen. Die Kinderbetreuung geht alle etwas an. Es kommt auch immer wieder vor, dass Sachen in den Raum gestellt werden. Wir müssen ihn immer wieder aufräumen oder Sachen entsorgen …

Lisa: Jetzt – nach Corona – wollen wir den Raum wieder mehr zu unserem Raum machen: neue Möbel hineinstellen, neu streichen. Das ist ein kleiner Neuanfang. Die Frauen*gruppe trifft sich regelmässig alle zwei Wochen. Für manche Frauen ist es jedoch schwierig, gegen Abend an die ASZ zu kommen, wegen der Arbeit oder der Kinderbetreuung.

Rougui: Ich wünsche mir, dass wir uns wieder oft sehen und zusammen etwas Neues machen. Letzthin haben wir doch über einen Grillabend gesprochen.


Musik erklingt und unterbricht das Gespräch: Come on, come on, turn the radio on, it’s Friday night and I won’t be long – Rouguis Tochter Hamdiatou spielt “Cheap Thrill” auf dem Handy ihrer Mutter.


Lisa: Und manchmal tanzen wir auch zusammen. Hamdiatou ist übrigens im Frauen*raum aufgewachsen.


Im Frauen*raum fühlte ich mich frei, zum Stillen, wofür auch immer.


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