14. Juni 2025 Quinny (Name geändert)

Ellas y ellos

Hast du klar nein gesagt? Hat er dich geschlagen?

«Du verstehst gar nichts. Du bist für nichts gut.
Du puta, du puta maldita! Ich liebe dich.
Du bist die Liebe meines Lebens.
Lass es uns versuchen, aber du musst dich ändern.
Ich habe mein halbes Leben an eine Frau verloren, die mir nie gab, was ich brauchte. Du bist wertlos.
Du machst nichts richtig.
Du weisst nicht, was du denkst.
Du bist eine puta! Du puta maldita!
Ich würde dich gerne am Zürichberg begraben.»

Nein, er hat mich nie geschlagen.

Gewalt hat verschiedene Formen und unterschiedliche Protagonist:innen. Gewalt durch Macht, Gewalt durch Ethnie, Gewalt durch Geschlecht. Als arme, dunkelhäutige südamerikanische Migrantin bin ich eine Hauptfigur in verschiedenen Konflikten gewesen. In diesem Artikel möchte ich die letzte Art von Gewalt zur Sprache bringen. Diese Entscheidung rührt nicht nur daher, dass ich eine Frau bin, sondern auch, dass ich glaube, dass geschlechtsspezifische Gewalt mich noch immer bedroht und am meisten verletzt.

Ich bin in einer Kultur des Machismo aufgewachsen. Wie jedes gute Mädchen, das in einer armen südamerikanischen Familie aufwächst, genoss ich meine Kindheit zwischen der Schule und den häuslichen Tugenden des Sparens, Putzens, Kochens und Lernens. Damals hatten alle diese Tätigkeiten in meiner Werteskala den gleichen Stellenwert.

Als es Zeit war, mich in jemanden zu verlieben, war ich nicht die Klügste. Seitdem habe ich immer darum gekämpft, mich nicht nur von meinem Herzen oder meinem Kopf leiten zu lassen, sondern eine gesunde Balance zu finden. Dieser Kampf beginnt erst jetzt, Früchte zu tragen. Hätte ich damals als Mädchen mit meinen erfahrenen Tanten mehr über meine Gefühle sprechen sollen? Warum konnte ich keine Grenzen ziehen, um meine Freiheit zu bewahren? Was bedeutet es, jemanden richtig zu lieben? Warum hatte ich stets das Gefühl, dass ich das opfern musste, was ich wollte, um eine Ehe und Kinder zu bekommen?

Was braucht es, damit du die Hoffnung verlierst?

In meinem Eheleben hatte ich nicht nur meine eigenen Hausarbeiten zu erledigen. Ich half auch bei den Hausaufgaben meiner Kinder. Sparen, Putzen, Kochen und Lernen waren immer noch zentrale Werte. Aber nach und nach begannen sie, in meinem Leben an Bedeutung zu verlieren. Ich wollte nicht mehr kochen, ich wollte nicht mehr putzen. Mein ganzes Leben lang hatte ich gespart. Ein Gefühl der Schuld überkam mich jeweils, wenn ich mir auf der Strasse einen Kaffee oder ein Paar Socken kaufen wollte. Was blieb, war der Wunsch zu lernen und mehr als eine Hausfrau zu sein. Ich hatte Träume. Wofür sonst hatte ich so hart gelernt, gearbeitet und studiert?

Die Liebe meines Lebens hat seine Träume mit meiner Unterstützung realisiert. Er ist mir zu einem Vorbild geworden, was harte Arbeit und finanzielle Stabilität betrifft. Er war für mich hauptsächlich der intellektuelle Akteur dieses Kampfes, und ich hatte mich oftmals nur als eine ausführende Kraft wahrgenommen. Aber ich bin ebenso Mensch wie er. Bin ich nur ein Körper? Ich möchte nicht nur ein Körper sein, der kocht, spart, putzt und davon träumt, mehr als eine Hausfrau zu sein. Aber wie schaffe ich das? Ich lebe in einem Käfig. Ich weiss, dass ich in einem Käfig lebe. Ich würde gerne nicht mehr in einem Käfig sein. Aber ich weiss nicht, wie ich rauskommen kann. Ich habe Angst vor allem. Ich weiss nicht, wohin ich gehen soll. Ich kann mit der Liebe meines Lebens nicht über meine Gefühle sprechen. Er versteht nicht, was ich fühle. Es sei einfach nur Bullshit, hat er mir immer gesagt. Ich habe Angst. Ich will nicht kochen. Ich will nicht putzen. Ich will nur noch schlafen. Lass mich schlafen.

Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Zufriedenheit, Respekt → Revolution

Ich wache auf aus einem sehr langen Schlaf und befinde mich im Überlebensmodus. Ich habe die Komfortzone meines Käfigs verlassen. Ich bin fragil und verwundbar. Ich kenne niemanden, der mir helfen könnte. Ich fange wieder bei null an. Ich beginne damit, eine neue Sprache von Grund auf zu lernen. Ein erster Ausgangspunkt, Anhaltspunkt. Ich gehe fremde Strassen entlang und weiss nicht, wo ich bin. Ich sehe mich als kleines Mädchen, das die schwere Markttasche vom Marktplatz bis nach Hause trägt. Ich habe das Gefühl, dass, der Kampf immer noch derselbe ist, obwohl ich älter geworden bin und jetzt in der Schweiz lebe.

Irgendwie habe ich es geschafft, den Kampf weiterzuführen. Ich habe mich durch dunkle Orte bewegt. Ich habe mich verlaufen. Ich habe geweint, ich weine immer noch. Und ich lache, lache, lache. Ich träume weiter. Ich bin eine Frau, die darum kämpft, mehr als nur ein Körper zu sein. Aber kann ich diesen Kampf überhaupt gewinnen?

Du bist sexy, ich will dich küssen

Jetzt lege ich nicht mehr so viel Wert auf Putzen oder Kochen. Ich habe erkannt, dass es andere Möglichkeiten gibt, Liebe zu geben. Aber ich spare immer noch, denn das Leben kostet, vor allem in Zürich. Ich habe kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich mir auf der Strasse ein Paar Socken kaufe. Aber ich trinke meinen Kaffee lieber zu Hause oder in meiner Schule. Ich lerne weiter, um meine Träume zu realisieren. Ich weiss, was es bedeutet, nur Dunkelheit zu sehen. Jetzt aber will ich nur Licht sehen und Licht sein. Ich möchte es schaffen, in einer Liebesbeziehung fair zu meinem Körper und zu meinem Herzen zu sein. Ich will mich nicht wieder in der Liebe verlieren. Aber es braucht immer zwei Menschen, die nicht nur einen Körper suchen, mit dem sie Sex haben können. Es braucht Menschen, die in der Lage sind zu verstehen, dass ihr:e Partner:in auch ein Mensch ist, der denkt, fühlt und Ziele im Leben hat. 

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