25. März 2020 Claudia Schlegel und Jenny Steiner

Für eine Solidarität ohne Grenzen – Flüchtlingslager in der Ägäis evakuieren!

Während Europa sich in Corona-Schockstarre befindet, ist die Lage der Geflüchteten an der griechisch-türkischen Grenze so dramatisch wie nie zuvor. Wir geben einen Überblick und zeigen, welche Projekte vor Ort akut auf Spenden angewiesen sind.

Alleine in Moria auf Lesbos harren derzeit mehr als 20'000 Menschen in einem Camp aus, das für 6000 errichtet wurde. Es ist ein Ort der mangelnden Hygiene, der Unterversorgung und der Gewalt. Ein Ort, wo Kinder aus Verzweiflung Suizidversuche unternehmen. An der griechisch-türkischen Landgrenze wird währenddessen auf Geflüchtete geschossen. Während Solidarität in Festlandeuropa im Corona-Ausnahmezustand momentan das Wort der Stunde ist, scheint sie vor den Aussengrenzen der Festung Europa Halt zu machen. 

Nach den Drohgebärden der türkischen Regierung und der teilweisen Grenzöffnung Ende Februar eskalierte die Situation im griechisch-türkischen Grenzgebiet. Der griechische Grenzschutz begann, Geflüchtete mit Gewalt von der Einreise abzuhalten. Dass Griechenland damit die UNO-Flüchtlingskonvention, Europarecht und die universelle Menschenrechtserklärung verletzt, scheint den Rest von Europa wenig zu kümmern – im Gegenteil: EU-Kommissionspräsidentin Ursula van der Leyen bezeichnete das südosteuropäische Land als «Schild Europas», nachdem sie und weitere EU-Spitzen «wie Feldherren» (Jean Ziegler in der WOZ) mit einem Nato-Helikopter über die Flüchtlingslager geflogen waren.

Inzwischen ist auch bekannt, dass Deutschland und andere Länder Bundespolizist*innen nach Griechenland geschickt haben, um die dortigen Grenzbehörden bei ihrem gewaltsamen Einsatz gegen die Geflüchteten zu unterstützen. Bilder und Berichte zeugen von massivem Einsatz von Tränengas und davon, dass auf Geflüchtete geschossen wurde: Ein Mensch und vermutlich drei weitere wurden dabei getötet. Damit hat sich die europäische Grenzpolitik von einem passiven Sterbenlassen an den Aussengrenzen zu einer Politik des aktiven Tötens gewandelt. Das Asylrecht wurde für alle Personen, die seit dem 1. März in Griechenland eingereist sind, ausgesetzt. Währenddessen greift die EU-Grenzschutzbehörde Frontex Flüchtlingsboote bereits auf hoher See auf und drängt sie gewaltsam zurück in die Türkei

Schweizer Hilfsorganisation abgebrannt

Dazu kommt, dass mehrere Wochen lang ein gewaltvoller Mob aus griechischen Faschist*innen und Rechtsextremen aus ganz Europa durch die Strassen der grenznahen Inseln zog. Auf Lesbos blockierten sie die Strasse nach Moria und errichteten Checkpoints. Sie verprügelten Geflüchtete und bedrohten Unterstützer*innen; zerstörten Häuser und Autos der Hilfsorganisationen vor Ort. Viele Organisationen haben inzwischen ihre Arbeit unterbrochen und Lesbos verlassen. Vor zwei Wochen wurde ein grosses Bildungs- und Freizeitzentrum der Schweizer NGO One Happy Family in Brand gesetzt und fast vollständig zerstört. Zu einem Zeitpunkt, an dem die humanitäre Katastrophe schon lange Tatsache ist, verschlimmert sich die Situation der Geflüchteten auf den Ägäisinseln zusätzlich. 

Und nun kommt noch das Coronavirus. Am letzten Mittwoch wurden die Flüchtlingslager auf den Inseln aus Angst vor Infektionen abgeriegelt. Zwischen 19 und 7 Uhr bleiben die Camps komplett geschlossen, tagsüber darf nur eine Person pro Familie hinaus, unter strenger Beobachtung der Polizei. Einige Lager auf den Inseln Leros und Kos wurden sogar vollständig und rund um die Uhr abgeriegelt. 

Eine Wasserzapfstelle für 1300 Personen

Die absolut prekären Lebensbedingungen in den überfüllten Hotspots sind der ideale Nährboden für das Virus. Gemäss der NGO Médecins sans Frontières gibt es in einigen Bereichen des Lagers Moria nur eine Wasserzapfstelle für 1300 Bewohner*innen. Fünf- oder sechsköpfige Familien müssen auf lediglich drei Quadratmetern Fläche schlafen. Ein Corona-Ausbruch würde sich unter diesen Umständen nicht eindämmen lassen. Sich regelmässig die Hände zu waschen oder Distanz zu wahren, ist unmöglich.


Was wir tun können:

Während sich Europa in der Corona-Starre befindet, nimmt die humanitäre Katastrophe an den Aussengrenzen ihren Lauf. Was können wir tun? Wir können Druck auf Politiker*innen ausüben, Petitionen unterschreiben (z.B. hier), andere Menschen über die Lage informieren oder spenden. ASZ-Aktivistin Claudia war selbst sechs Monate auf Lesbos und weiss, dass folgende Projekte noch immer vor Ort tätig und dringend auf Spenden angewiesen sind: 

Lava Project

Die 20'000 Menschen im Camp Moria haben fast keinen Zugang zu sanitären Anlagen und auch keine Möglichkeit, zu waschen. Das begünstigt das Ausbreiten von Krankheiten und macht die Lebensbedingungen noch prekärer. Das Lava Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, allen Menschen im Reception and Identification Camp (RIC) von Moria die Möglichkeit zu geben, ihre Kleider, Bettlaken und Handtücher zu waschen. Zurzeit ermöglicht das Lava Project dies pro Monat für bis zu 4000 Bewohner*innen. 

https://thelavaproject.org/donate-now/


Legal Center

Das Legal Center ist eine Organisation von juristisch ausgebildeten, internationalen Freiwilligen mit Sitz in Lesbos. Sie bietet Asylbewerber*innen und Migrant*innen rechtliche Informationen und Hilfe und unterstützt griechische Anwält*innen bei der Bereitstellung von Rechtsberatung und -vertretung. Die Informationen, die im Legal Center gesammelt werden, dienen als Grundlage für Pressemitteilungen, Menschenrechtsberichte und rechtliche Strategien.

Die Mitarbeitenden des Legal Centers bemühen sich nicht nur um eine direkte rechtliche Vertretung, sondern auch um die Zusammenarbeit mit Flüchtlingsgemeinschaften und um deren Organisierungsbemühungen zur Verwirklichung ihrer Rechte.

https://legalcentrelesvos.org/donate/


Better Days

Unbegleitete Minderjährige sind oft gezwungen, unter freiem Himmel zu schlafen; sie haben eingeschränkten oder keinen Zugang zu Elektrizität, Nahrungsmitteln und anderen grundlegenden Dienstleistungen und Infrastrukturen. Ihnen werden oft medizinische Dienstleistungen, rechtliche Unterstützung und Unterkunft verweigert. Sie sind Menschenhandel, Drogenmissbrauch, gewalttätigen Angriffen und sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Die NGO Better Days identifiziert unbegleitete Minderjährige, verteilt Hilfspakete und organisiert Nothilfe und rechtliche Unterstützung. 

https://www.betterdays.ngo/donate/


Lesvos Solidarity

Eine griechische NGO, die sich für Geflüchtete und Einheimische in Not einsetzt. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, sich für Solidarität und Integration einzusetzen und mit nachhaltigen Strukturen sowohl einzelne Personen als auch die Gemeinschaft zu stärken. Lesvos Solidarity betreibt ein Flüchtlingscamp für die Verletzlichsten unter den Geflüchteten (Pikpa Camp) und ein Support Center (Mosaik). Im Support Center Mosaik werden Sprachkurse und Rechtshilfe angeboten sowie ein upcygling Workshop, in welchem aus gesammelten Rettungswesten Taschen hergestellt werden. Der Workshop bietet Geflüchteten und Einheimischen ein Einkommen. Lesvos Solidarity ist unabhängig von staatlichen Geldern oder Unterstützung durch UNHCR und deshalb dringend auf Spenden angewiesen. 

https://lesvossolidarity.org/en/
https://lesvosmosaik.org/de/wilkom/


One Happy Family

"One Happy Family" ist ein Gemeinschaftszentrum auf Lesbos. Für die Menschen in Moria war es oft die einzige Möglichkeit, eine Mahlzeit oder Zugang zu sanitären Anlagen und Sprachkursen zu bekommen. Es wurde inzwischen (vermutlich von Rechtsextremen) in Brand gesetzt und fast vollständig zerstört. 

https://ohf-lesvos.org/de/spenden/


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