16. August 2021 Morteza

«Für einen Gärtner ist eine Pflanze wie ein Kind»

Mortaza, fotografiert von Emilio Nasser

Morteza hat als Kind auf dem Bau gearbeitet. Nach seiner Flucht in der Schweiz macht er nun eine Lehre als Gärtner.

Ich mache derzeit eine Gärtner-Lehre.

Die Arbeit als Gärtner ist sehr vielfältig. Im Sommer schneiden wir den Rasen, pflanzen Bäume und Sträucher, schneiden Hecken, geben Wasser. Vor dem Winter packen wir gewisse Pflanzen ein, um sie vor der Kälte zu schützen, zum Beispiel Rosenstöcke. Im Winter schneiden wir fast täglich die Bäume und Äste zurück. Manchmal räumen wir auch Schnee.

Wir arbeiten immer draussen an der frischen Luft und sind ständig in Bewegung. Zudem müssen wir früh aufstehen: Im Sommer beginnt die Arbeit bereits um 6.30 Uhr. Dann stelle ich den Wecker auf 5 Uhr. Ans frühe Aufstehen musste ich mich zuerst gewöhnen. Inzwischen fühlt es sich normal an; ich wache sogar oft noch vor dem Wecker auf. Im Winter beginnt die Arbeit etwas später.

Wir sind fast in der ganzen Stadt unterwegs. Mal arbeiten wir in einer Schule, mal auf einem Friedhof, in einem Park oder einem Kindergarten. Im vergangenen Herbst haben wir der Sihl entlang junge Bäume eingepflanzt.

Besonders gerne mag ich Sonnenblumen. Diese wachsen auch in Afghanistan. Der Lebensbaum (Thuja) gefällt mir auch gut, weil er immer grün ist und eine schöne Form hat. Ich habe Freude daran, neue Pflanzen einzusetzen und sie wachsen zu sehen. Für einen Gärtner ist eine Pflanze wie ein Kind: Im Winter müssen wir sie schützen, und im Sommer müssen wir ihr Wasser und Dünger geben. Und wir können ihr dabei zuschauen, wie sie wächst. An Zürich gefällt mir, dass die Stadt sehr grün ist. In Teheran gab es zwar grosse Parkanlagen, aber sie waren nicht sehr sauber – nicht so wie hier.

Mir spielt es keine Rolle, ob ich bei Sonne, Regen oder Schnee arbeite. Wichtig sind mir die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Meine Kollegen sind sympathisch und hilfsbereit. Am Anfang war die Zusammenarbeit trotzdem nicht ganz einfach, weil ich den Schweizer Dialekt nicht verstand.

Als Kind wollte ich Profifussballer werden. Das erste Mal gearbeitet habe ich dann aber auf dem Bau, ich war damals 12 Jahre alt. Meine Geschwister und ich konnten im Iran die Schule nicht besuchen, weil uns die nötigen Ausweise fehlten. Also gingen wir arbeiten. Die Arbeit war streng: Wir mussten Steinplatten verlegen und Mauern bauen. Später habe ich in Teheran als Schuhmacher gearbeitet.


Als Kind wollte ich Profifussballer werden. Das erste Mal gearbeitet habe ich dann aber auf dem Bau,


Als ich 2015 in die Schweiz kam, musste ich zuerst Deutsch lernen. Im ersten Jahr übernahm meine Wohngemeinde die Kosten für den Unterricht. Diese erste Zeit ohne gesicherten Aufenthaltsstatus war sehr schwierig und stressig. Es fiel mir auch nicht leicht, neue Kontakte zu knüpfen, weil ich von Natur aus eher schüchtern bin. Ich wollte aber nicht untätig zuhause herumsitzen und grübeln. Als ich ein wenig Deutsch konnte, ging ich deshalb zur «Stiftung Chance» in Oerlikon. Diese vermittelte mir ein Schnupperpraktikum bei einem grossen Gärtnereibetrieb. Mir gefiel die Arbeit; also nahm ich das Angebot an, dort zu bleiben und ein Praktikum zu machen. Das Praktikum dauerte acht Monate. Das war eine ziemlich herausfordernde Zeit. Alles war neu: die Sprache, die Kultur, der Beruf.


Es gibt viele Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, wie ich es war, als ich in die Schweiz kam und die sich wünschen, eine Chance zu erhalten. Manche erhalten keine, weil ihnen ein Ausweis oder Papier fehlt. Das ist extrem schade.


Nach dem Praktikum folgte eine einjährige Vorlehre. Und seit Sommer 2020 mache ich  eine sogenannte EBA-Lehre; EBA steht für Eidgenössisches Berufsattest. Das ist eine berufliche Grundbildung für praktisch begabte Jugendliche und Erwachsene, die schulisch nicht so stark sind, beispielsweise wegen der Sprachbarriere. Diese Ausbildung dauert zwei Jahre. Wenn ich sie mit guten Noten abschliesse, kann ich anschliessend weitere zwei Jahre anhängen, um das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) zu erreichen.

Es gibt viele Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, wie ich es war, als ich in die Schweiz kam und die sich wünschen, eine Chance zu erhalten. Manche erhalten keine, weil ihnen ein Ausweis oder Papier fehlt. Das ist extrem schade.

Mein Ziel ist, die Gärtner-Lehre abzuschliessen, um eine Stelle zu finden und dann ein normales Leben führen zu können, mit einem vollen Lohn. Der Lehrlingslohn reicht nicht, um alle Lebenskosten zu decken, ich bin deshalb noch immer auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Mit meinem ersten Lohn möchte ich mir eine gute Fotokamera kaufen.

Morteza ist 30 Jahre alt. Geboren und aufgewachsen ist er in Ghazni, Afghanistan. Im Alter von 7 Jahren zog er nach Teheran. Er lebt seit 2015 in der Schweiz.

Artikel mit ähnlichen Themen:
Loading ...