2. Juli 2019 Redaktion
Die Eingrenzung hat Shirin von allem getrennt, was ihm wichtig war. Nicht einmal die Bibliothek darf er besuchen. Er lebt in einem offenen Gefängnis.
«Ich hatte die Vorstellung, weiterstudieren zu können – ich hatte Hoffnung», sagt Shirin. «Aber jetzt habe ich alles verloren.» Shirin, der in Wirklichkeit anders heisst, hat mit der Papierlosen Zeitung Kontakt aufgenommen, denn er wollte seine Geschichte erzählen. Selber schreiben wollte er sie hingegen nicht, und zu detailliert sollte sie auch nicht sein. Denn Shirin hat Angst vor dem Sozialamt und dem Migrationsamt. Er möchte vor allem eins: von seiner Eingrenzung erzählen, die ihn auf einen Schlag von allem getrennt hat, was ihm wichtig war. «Die Eingrenzung bedeutet für mich ein offenes Gefängnis», sagt er.
Seit mehr als drei Jahren lebt Shirin jetzt in der Schweiz. Sein Asylgesuch wurde abgelehnt – nach nur einem Interview. Die Beschwerde gegen den Entscheid ebenfalls. Der Negativentscheid habe ihn eiskalt erwischt, denn er habe sich schon gut eingelebt in Zürich. «Ich war zu dieser Zeit sehr wach», sagt er. «Ich besuchte mehrere Deutschkurse und lernte schnell.» Bald habe er sich ein Beziehungsnetz aufgebaut, etwa an der Autonomen Schule Zürich oder bei Be A Robin, einer Organisation, die regelmässig kostenlose Ausflüge organisiert. Am liebsten aber sei er
zur Universität gegangen: «Ich besuchte so viele Vorlesungen wie möglich und ging in die Bibliothek, um zu lesen.» Vielleicht würde irgendwann sein abgeschlossenes Studium anerkannt werden, dachte er.
Die Mühlen der Repression
Mehrmals betont Shirin, dass er immer noch nicht verstehe, wieso man ihn bestrafe – er habe doch gar nichts verbrochen. Migrations- und Sozialamt kümmerte das wenig, sie setzten die Repressionsmaschinerie in Gang: Shirin wurde ins Rückkehrzentrum (RKZ, ehemals NUK) Urdorf, in einen unterirdischen Bunker, versetzt. Bald darauf wurde er eingegrenzt. Er darf das Gemeindegebiet jetzt nicht mehr verlassen. Sein Verbrechen: illegaler Aufenthalt.
«Vorher war ich frei, ich hatte viele Kontakte – und davon bin ich jetzt abgeschnitten», sagt Shirin. «Manchmal kommen mich Leute besuchen, aber das ist nicht das Gleiche.» Was ihm vorher Stabilität gegeben hatte, fehlt ihm jetzt. In Urdorf gibt es kaum Abwechslung. «Einmal in der Woche besuche ich einen Deutschkurs, aber seit ich in Urdorf bin, lerne ich kaum mehr Neues» Hinzu kommen ein monatlicher Brunch, ein wöchentliches Sportangebot, ein allzweiwöchentlich stattfindender Treff. Mehr Freizeitbeschäftigung gibt es im Grunde nicht, vor allem seit den im RKZ registrierten Menschen (wohl widerrechtlich) der Zutritt zur Bibliothek verwehrt wird. Und alles, was kostet, kommt für Shirin mit 8,50 Franken Nothilfe pro Tag sowieso nicht infrage.
Obwohl er kaum irgendwohin kann, verlässt er, anders als viele andere, jeden Tag frühmorgens das RKZ. «Ich möchte so wenig Zeit wie möglich in diesem Bunker verbringen», sagt Shirin. «Und am Abend, wenn ich wieder zurück muss, ist das unglaublich schwierig.» Er halte es kaum mehr aus. Deshalb habe er das Migrationsamt schon darum gebeten, ihm noch eine Chance zu geben. Vergeblich.
Was der Staat ihm stattdessen zukommen liess: Eine Verurteilung wegen illegalen Aufenthalts zu einer Geldstrafe von insgesamt 2600 Franken. Chancen, Fairness, Aufrichtigkeit – das interessiert die verantwortliche Sicherheitsdirektion nicht im Geringsten. Shirin ist in Urdorf, gerade weil er es nicht mehr aushalten und das Land verlassen soll. Das RKZ soll die schlechteste Alternative sein, die ihm zur Verfügung steht. Das ist das anerkannte politische Ziel: In diesem kleinen Agglomerationsort Bedingungen zu schaffen, die schlimmer sind als diejenigen, vor denen er einst floh. Das Ziel ist es, Shirin zu brechen.