22. Mai 2015 Michael Schmitz

KOPF KAPUTT!

Wie das schweizerische Asylsystem wirkt

Als wir letztes Jahr in der ASZ einen Dokumentarfilm über die schlimme Lage der Geflüchteten in Griechenland zeigten, empörte sich ein Zuschauer sehr – aber nicht über die Verhältnisse in Griechenland. Er hatte diese selbst erlebt und lebt nun in einer Massenunterkunft für Asylsuchende in der Zürcher Provinz. Er fand, wir sollten nicht Filme über die schlechten Verhältnisse in anderen Ländern zeigen, sondern anprangern, wie die Lage in der Schweiz ist. Hier sei es nämlich genauso schlimm wie in Griechenland. Als wir später einen Film über die Lebensbedingungen von Sans-Papiers in Italien zeigten, wiederholte sich die Szene. Ein anderer Sans-Papier äusserte die gleiche Kritik. Auch er kannte die Verhältnisse in Italien und Griechenland aus eigener Erfahrung.

Im öffentlichen Bewusstsein gelten Griechenland und Italien als die Hölle für Geflüchtete und die Schweiz demgegenüber als Land, indem niemand auf der Strasse leben oder um sein Leben fürchten muss, nur weil er oder sie Geflüchtete_r ist. Die Äusserungen der zwei ASZ-Teilnehmer verweisen aber darauf, dass in der Schweiz eine Art von Gewalt gegen Asylsuchende herrscht, die weniger nackt und direkt sein mag als in anderen Ländern, aber als genau so quälend empfunden werden kann. Messerattacken oder faschistische Gangs, die Jagd auf Geflüchtete machen, sind hier anders als in Griechenland selten. Das schweizerische Asylwesen ist ein feinmaschiges Kontroll- und Disziplinarsystem, das in erster Linie auf die Köpfe der Asylsuchenden zielt. «Kopf kaputt» ist ein Ausdruck, der oft zu hören ist, wenn Geflüchtete über ihre Situation sprechen. Hausregeln im Asylheim, Schikanen von Sozialberatern und Heimleitern, Polizeikontrollen, Verhaftungen und Gefängnisaufenthalte, die ständige Angst davor und vor der Ausschaffung prägen den Alltag vieler Asylsuchenden – vor allem der abgewiesenen. In Griechenland oder Italien besteht wegen der Absenz eines funktionierenden Asylsystems gar nicht die Kapazität für eine solche tägliche Kontrolle über das Leben der Geflüchteten.

Natürlich wirkt diese Situation – die Demütigungen bei Leibesvisitationen in aller Öffentlichkeit, der Mangel an Privatsphäre durch enge Wohnverhältnisse oder die Schikanen von Seiten der Behörden – auch auf den Körper ein. Depressionen und andere psychische Störungen sind häufig. Das schweizerische Asylsystem kann in letzter Konsequenz dazu führen, dass man sich selbst Gewalt antut. Immer wieder ist es in den letzten Jahren zu Selbsttötungen von Geflüchteten gekommen. Und so ist eben nicht nur die Asylpolitik Griechenlands tödlich, sondern auch die der Schweiz.

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