1. Mai 2015 Berhanu Tesfaye
Was ist mit dem Land der äthiopischen Bauern geschehen? Wie Diktatoren ihre eigene Bevölkerung schikanieren und das Land an transnationale Firmen verschachern.
Äthiopien erlebt gegenwärtig das Phänomen Land Grabbing, vorangetrieben von der Regierung, die von der Tigrai-Ethnie dominiert wird. Die Regierung hat über 300’000 Hektar Land in Gambella, 150’000 Hektar in Benshangul und mehr als 50’000 Hektar im Omo-Tal verpachtet. Die sogenannten Anleger erhalten Pachtflächen für den Preis von ein bis sechs US-Dollar pro Hektar pro Jahr, also für den Preis eines Zigarettenpäckchens.
Diese Verpachtungen haben für die äthiopischen Bauern schwere Folgen. Ein Bauer sagt: «Durchschnittlich haben wir weniger als 0.5 Hektar Land.» Ein weiterer Bauer fügt hinzu, dass mit diesem Land «durchschnittlich 4.5 Personen pro Haushalt» ernährt werden müssen. Es ist lächerlich, dass gleichzeitig mit den massiven Landverpachtungen ein durchschnittlicher äthiopischer Bauer über weniger als einen halben Hektar Land für die Existenz seiner Familie verfügt.
«Etwa 7.6 Millionen Menschen jährlich brauchen in Äthiopien Hilfe.»
Äthiopien verfügt über etwa 16 Millionen Hektar Land, das für die Agrarwirtschaft geeignet ist. Dennoch werden jährlich Nahrungsmittel für 10 Millionen Menschen importiert. Nebenbei ist das Landesbudget von Entwicklungshilfe aus den Industrieländern abhängig. Mehr als 250’000 Bauern mussten von 2010 bis 2014 ihr Land verlassen, etwa 260'000 Bauern von 17 verschiedenen ethnischen Gruppen in Omo-Tal und mehr als 20'000 in Gambella. Zahlen der UNDP bestätigen diesen Missstand: «Etwa 7.6 Millionen Menschen jährlich brauchen in Äthiopien Hilfe.»
Weil die Bauern ihre Höfe räumen und in die Stadt migrieren mussten, konnte die Regierung das Land für einen so tiefen Preis verpachten. Dieses Land wird von Agrarinvestoren gerodet. Aus dem Holz der Bäume wird Kohle gemacht, die Investoren verdienen das Geld. Ausserdem wird das Land für die Kultivierung von Energiepflanzen wie Jatropha missbraucht. Gleichzeitig sagen die Pächter: «Wir haben nicht genug Geld für weitere Arbeit.»
Landraub hat Bauern vor allem in den Regionen Omo, Gambella, Assosa, Ambo, Zway und Debre Zeit vertrieben. An diesen Orten produzieren die neuen Besetzer_innen Blumen, Ölpflanzen und Energiepflanzen. Traditionelle Agrarprodukte wie Teff, Mais oder Weizen werden nicht für die Bevölkerung Äthiopiens angebaut. Ausserdem vergiften die verwendeten Chemikalien das Land und auch das Wasser. Wegen der Armut haben die traditionellen Bauern keine Chance, selbst Land zu pachten.
Tabelle 1 verdeutlicht sowohl das Ausmass des Landraubs als auch die ethnisch basierte Politik der äthiopischen Regierung. So wurde extrem wenig Land in Tigrai verpachtet, da die meisten Posten der äthiopischen Regierung von der Tigrai People Liberation Front (TPLF) besetzt sind. Am meisten Land wurde in Gambella verpachtet. Es scheint so, dass die äthiopische Regierung die Gebiete, die von einer anderen Ethnie bewohnt werden, systematisch ausbeuten lässt, um einerseits den eigenen Profit zu steigern und anderseits um ihre Macht zu sichern.
Die Menschen werden von ihrem eigenen Land verdrängt und können nicht mehr von der Landwirtschaft leben. Für die Vertriebenen gibt es keine Siedlungsprojekte, und auch der Aufbau von Infrastruktur wird vernachlässigt. Eine neue Existenz aufzubauen ist deshalb praktisch unmöglich.
«Sie gaben uns die Bibel und nahmen dafür unser Land»
Im 20. Jahrhundert wurden die Ressourcen Afrikas durch den Kolonialismus der entwickelten Welt verwaltet und ausgebeutet. Die meisten Staaten in Afrika waren die Hauptquelle von Ressourcen. Aber nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Unabhängigkeit haben sich die Dinge verändert. Nur wird es nicht mehr Kolonialismus genannt, sondern «ausländische Direktinvestitionen». Was sich nicht verändert hat, ist die Aneignung und Ausbeutung der Ressourcen. Der erste Präsident Kenias, Jommo Kenyatta, sagte: «Als die Weissen nach Afrika kamen, hatten wir das Land und sie die Bibel. Dann lehrten sie uns, mit geschlossenen Augen zu beten – und als wir die Augen wieder öffneten, hatten sie das Land, und wir hatten die Bibel.» Damals waren es die Kolonialisten, heute sind es Diktatoren, die mit Hilfe von transnationalen Konzernen das Land und die Leute ausbeuten.
Die diktatorischen Verwaltungen des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank, der USA und der europäischen Union wissen über diese Missstände in Äthiopien Bescheid. Diese vier Akteure finanzieren mit jährlich bis zu fünf Milliarden Dollar diese ungerechten, vom äthiopischen Regime geförderten Umsiedlungen. Sie wissen zwar, dass solche Handlungen Menschenrechtsverletzungen sind, doch sie verschliessen die Augen davor. Denn die Menschen sind ihnen egal, aber das Geld nicht.