24. Februar 2014 Kursteilnehmende und Moderierende

Leben und leben lassen

Für die Papierlose Zeitung haben sich fünf Kursteilnehmer und eine Moderatorin zusammengesetzt, um gemeinsam zu einem Thema kurze Texte zu verfassen. Nach zweistündigem Brainstorming und angeregter Diskussion, welche sich um Themen wie «Utopie», «gerechtes Leben» oder «the beauty of harmonization» drehte, einigten wir uns auf die Redewendung «leben und leben lassen». Jede_r von uns nahm den Gedankenaustausch und diesen Satz mit nach Hause, um an einem eigenständigen Text zu arbeiten. Nach mehrmaligem Austausch und Überarbeiten der Texte entstanden folgende Essays. Viel Vergnügen beim Lesen!

«Sind in der Schweiz vor dem Gesetz nicht alle gleich?»

Ich habe einen F-Ausweis. Seit sieben Jahren bin ich in der Schweiz und ich habe 2012 geheiratet. Meine Idee war, dass meine Frau in die Schweiz kommt, weil sie in Äthiopien alleine geblieben ist. Darum habe ich das BfM gefragt, ob meine Frau in die Schweiz kommen darf, habe aber einen negativen Entscheid erhalten. Ich habe meine Freunde gefragt und sie haben gesagt, dass ihre Frauen in Äthiopien einen positiven Entscheid bekommen hätten. Also sind die Menschen in der Schweiz vor dem Gesetz nicht alle gleich, oder!?

Daniel Ghebretinsae


«Ich habe Angst und Sorge wegen diesen Gesetzen in der Schweiz»

Ich bin Najib. Vor eineinhalb Jahren bin ich in die Schweiz gekommen. Im ersten Monat war es sehr gut für mich, weil ich aus einem Kriegsland geflohen bin. Ich fühlte, dass hier ein neues Land und eine neue Welt für mich ist. Ich dachte, dass es hier keine Sorgen und keine Angst gibt, dass ich hier in die Schule gehen könnte, wie andere junge Leute auch. Aber das waren nur meine Gedanken. Eigentlich habe ich Angst und Sorgen wegen diesen Gesetzen in der Schweiz. Weil das Gesetz unklar ist, ist meine Situation ungewiss und ich muss in der Schweiz warten.

Bis wann?

Niemand weiss das.

Ich bin ein Mensch und ich habe Wünsche, Träume und Ziele. Ich möchte in die Schule gehen und eine Lehre machen. Und ich hoffe, bald meine Familie zu sehen. Ich vermisse sie.

Najib


«Glücklich ist, wer den Weg zu ASZ findet»

Das Leben in der Diaspora ist normalerweise nicht so wunderbar, wie es aus der Distanz für die meisten Immigrant_innen scheint. Ein einsames Dasein mit von der Sehnsucht nach zu Hause gebliebener Familie und Freunden gebrochenem Herzen: Das ist das bekannteste Hindernis für Neuankömmlinge, sich in ihrer neuen Umgebung einzuleben. Dazu kommt, dass sie zugehämmert werden von einer neuen und vielleicht völlig befremdenden (unerwarteten) Sprachbarriere, einer kulturellen Diversität, einem Lebensstil und ungewohntem Wetter – all das macht es noch viel schwieriger.

Wenn man jedoch auf warme und freundliche Gesten trifft, die einen willkommen heissen, auf motivierende und fürsorgliche Begleitung, dann ist das Unmögliche immer möglich. In Situationen wie diesen ist die Natur selbst Lehrerin. Von ihr kommen die Werkzeuge zum Erfolg. Die Geduld, die Bereitschaft zu lernen und mit andern zu teilen, und der anfängliche Antrieb, für ein neues Überleben zu lernen, kommen von innen. Wo es ein Bedürfnis gibt, gibt es auch einen Weg.

Unter den Glücklichen finden manche ihren Weg zur Autonomen Schule in Zürich (ASZ). Die ASZ ist ein autonomes Institut, das neue Kommunikationswege eröffnet und es ermöglicht, dass Neuankömmlinge solche kennenlernen, die schon früher als sie angekommen sind. Die neuen Besucher_innen des Zentrums können von ihren Landsleuten Wissen und Werkzeuge für das Überleben in der Stadt bekommen.

Die Leute der ASZ sind freudig bereit, Unterstützung anzubieten und sie heissen Besuchende willkommen. Dieses selbstverwaltete Institut, wo alle zusammen kooperativ ihren Teil zum Weiterkommen beitragen, bietet diverse Aktivitäten für alle Interessierten an: Sprachkurse, vor allem Deutsch, aber auch Englisch, Französisch und so weiter. Zusätzlich gibt es Sport und Musikaktivitäten für die Unterhaltung. All diese Zusammenkünfte sind wunderbar, um neue Freund_innen und Kolleg_innen zu finden. Man trifft so Leute mit einem ähnlichen Hintergrund, was Kultur, Tradition und Sprache anbelangt. Zudem eröffnet es neue Wege, um Leute mit gemeinsamen Interessen, Glauben, Talenten, Visionen und Zukunftsplänen aus verschiedenen Ecken des Planeten zu treffen. Das heisst: In der ASZ warten ein neues Zuhause, eine neue Familie, neue Freund_innen und ein neues Leben.

Durch die Aktivitäten in der ASZ beginnen wir, in Harmonie, Toleranz, Geduld, gegenseitigem Respekt und Verständnis mit Menschen aus diversen Kulturen und Traditionen gemeinsam zu leben. Die Vielfalt von Kulturen ist tatsächlich die Schönheit des Zentrums. Durch diese Gemeinschaft sind Menschen fähig, Schritt für Schritt einen Umgang mit ihrer neuen Umgebung zu finden und sich in ihr einzuleben. Immigrant_innen beginnen, sich an das neue und völlig andere Leben zu gewöhnen, an einen neuen Stil und Mechanismus des Lebens, an eine neue Überlebensstrategie. Folglich lernen alle, das Prinzip «Leben und andere leben lassen» zu verwirklichen.

Afona (Übersetzung aus dem Englischen: Corina Schaub)


Leben und leben lassen

Farsi-Originalversion als PDF

Das Leben ist weder essen, noch sich kleiden, noch trinken
Das Leben ist nicht wie die Tiere in der Wüste zu weiden
Leben und leben lassen
Das Leben ist wie der Fluss fliesst
Das Leben ist nicht das Blut, aber die Adern
Leben und leben lassen
Das Leben gehört nicht zur Politik und die Politik nicht zum Leben
Das Leben ist nicht das «S» in «Sklaverei»
Das Leben ist keine reale Fata Morgana
Das Leben ist nicht ohne Geld und betrunken zu leben
Leben und leben lassen
Mehrdeutigkeit ist eine Tatsache des Lebens
Das Leben bedeutet nebeneinander und zusammen zu sein
Leben und leben lassen
Das Leben bedeutet seine eigene Nahrung zu essen
Das Leben bedeutet in Ruhe und Sicherheit nebeneinander zu leben
Leben und leben lassen
Das Leben ist kein bewiesener und kein entgeltlicher Vorteil
Das Leben ist nicht die eigene Meinung den anderen aufzuzwingen
Leben und leben lassen
Das Leben ist schön ohne Diskriminierung
Das vollkommene Leben ist die Interpretation der Träume
Leben und leben lassen
Das Leben bedeutet gewissenhaft zu sein und zu bleiben
Das Leben bedeutet die Anderen leben zu lassen
Leben und leben lassen
Das Leben bedeutet den Status der Menschenrechte hervorzuheben
Das Leben bedeutet mit der Menschheit zu leben und zu sterben
Leben und leben lassen
Das Leben ist nicht die Anderen als Flüchtlinge wahrzunehmen
Das Leben ist nicht zu denken, man sei besser und die Anderen seien tiefer
Leben und leben lassen
Das Leben ist nicht Rassismus und Diskriminierung
Das Leben ist die Interpretation der süssen Träume
Leben und leben lassen …
Das Leben, das Leben, das Leben

Ein Gedicht von Sayed Mohammed
Übersetzung und Übertragung aus dem Persischen:
Sayed Mohammed, Dolores Bertschinger, Shirin Hegetschweiler

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