3. Juni 2025 Frmesk Rezaei

Mein Körper, ein Schlachtfeld

Die Journalistin Frmesk Rezaei erzählt die Geschichte einer kurdischen Frau, die in einem Gefängnis im besetzten Ostkurdistan gefoltert wurde – vom iranischen Geheimdienst und von einem Familienmitglied.
Triggerwarnung: Dieser Text enthält Beschreibungen von Folter und sexualisierter Gewalt.

Ich versuchte mich zu wehren, aber meine Hände waren gefesselt. Auch sehen konnte ich nichts, sie hatten mir die Augen verbunden. In der Dunkelheit suchte ich nach einem Funken Licht, aber da war nur Ahmad*. Er rief meinen Namen. Und ich wünschte, Ahmad würde sich in Luft auflösen. Ich wünschte, er existierte nur in meinen schlimmsten Träumen, doch zu träumen wurde mir verwehrt. Man überliess mir nur die grausame Realität: eine Folterkammer und Ahmad. Mein eigener Bruder, mein Peiniger. 

Bevor ich in dieser Folterkammer landete, wo mein Bruder mir gnadenlos auf den Rücken peitschte, hatte ich geglaubt, der Gewalt meiner Familie entkommen zu können. Doch man entzog mir sogar das Recht, keine Heimat und kein Obdach zu haben, als Geflüchtete zu leben. Ich hatte keine Wahl: Wenn ich sitzen geblieben wäre, hätte mich das Wasser mitgerissen. Weil ich aufstand, frass mich der Wolf. 

Die Person, um die es hier geht, bin ich: Scheler. Eine Frau aus dem Osten Kurdistans, Mutter von zwei Töchtern. 

Als mir meine Familie meine Töchter wegnahm, entglitt ich mir auch selbst. So floh ich nach Südkurdistan, wollte mich dort wiederfinden. Ich fand nichts. In einem besetzten Land, in meinem besetzten Körper irrte ich umher auf der Suche nach mir selbst. 

Doch ich bin dazu verdammt, in einem Folterkäfig namens Iran zu leben. Denn irgendwann realisierte ich: Ich konnte nicht zulassen, dass meine Töchter das gleiche Schicksal ereilt – ich musste nach Ostkurdistan zurückkehren. Sie hatten eine bessere Zukunft verdient, dafür musste ich kämpfen. Ich hatte sie zur Welt gebracht und war für sie verantwortlich. Sie waren meine Hoffnung, meine ganze Welt. 

Kaum hatte ich das besetzte Ostkurdistan wieder betreten, wurde ich aufgespürt und verschleppt. Schon bald hörte ich eine vertraute Stimme. Ahmad, mein Bruder, arbeitete für den Geheimdienst. Und ich war Scheler, die ihre Familie herausforderte; die Schwester, die sich der Besatzung entgegenstellte und für ihr Land und ihren Körper kämpfte. 

Das niederträchtigste Verbrechen, das der iranische Geheimdienst an mir beging, war die sexualisierte Gewalt. In der Folterkammer erfuhr ich, dass sie den Schlagstock nicht nur zum Schlagen benutzten. So vieles, was ich nicht imstande bin zu sagen – so vieles in meinem Schweigen verborgen. 

Mein Körper wurde zum Schlachtfeld. Sie hatten nicht einmal genügend Erbarmen, mich bei diesem Kampf sterben zu lassen. 

Immer wieder fiel ich in Ohnmacht, immer wieder holten sie mich mit kaltem Wasser oder Elektroschocks zurück in die Grausamkeit. Dann hörte ich wieder seine Stimme. Ahmad, der mir beweisen wollte, was für ein gefährlicher Bruder und Folterknecht er war, liess in diesen Tagen einen Schwall des Schmerzes auf mich los, der die Gefängnismauern sprengte, der das ganze Land flutete. So verkam für mich die ganze Welt zu einer einzigen Folterkammer. 

Die Schläge, Folter und Gewalt waren einfacher zu ertragen als die Worte der Gesellschaft. Die Schande lastet auf mir, das haben sie mir eingeredet. Niemand will mich, weil ich nicht sterben konnte – nicht bei meinem Fluchtversuch und nicht in der Folterkammer. Manchmal verleiht hier erst das Sterben einem Menschen Würde. 

Ich bin wie Scheler – eine andere Scheler, die in der ostkurdischen Stadt Marivan lebte. Vor einigen Jahren sprang sie aus dem Fenster, als ihr Nachbar versuchte, sie zu vergewaltigen. Sie verlor ihr Leben und wurde zur Heldin. Wir tragen denselben Namen, aber ich überlebte. Nun bringen mich die Leute jeden Tag mit ihren Worten um. 

Ich stehe hier in diesem gefluteten Land. Und auch wenn niemand meine Geschichte erfahren wird, werde ich die Heldin meines eigenen Lebens sein. Denn ich werde dafür sorgen, dass meine Töchter nicht wie Scheler enden. 

*Name geändert

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