26. August 2015 Frauengruppe ASZ
Interview von Camilla Franz mit Azadeh Radbakht, Elba Maldonado, Harika Jakob, Nafissa Saya, Saba Kidane und Sibani Gurung
Was ist die Frauengruppe und was sind ihre politischen Ziele?
Wir haben mit den Frauen-Treffen vor drei Jahren angefangen, kurz bevor die Autonome Schule vom Güterbahnhof an die Badener Strasse umgezogen ist. Damals hatten wir das Problem, dass die Schule kein frauen- und kinder- freundlicher Ort war. Daher haben wir für den neuen Ort einen solchen Raum gefordert. Das war das erste gemeinsame Ziel. Wir haben dort Räume sozusagen besetzt und gesagt: «Frauenraum jetzt sofort!» Von den Männern haben wir daraufhin viele Reklamationen bekommen, warum die Frauen denn ihr eigenes Zimmer bräuchten. Aber mit der Zeit haben sie es verstanden. Frauen können in dem Raum gemütlich Pausen machen, miteinander reden. Wir haben Frauen-Znacht und Frauentreffen organisiert. Wir haben an den Problemen der Frauen innerhalb der ASZ weitergearbeitet. Das Ziel war es, die Situation von Frauen an der ASZ zu verbessern. Darüber, was wir in der Schule als Frauen erlebt haben, haben wir einen Film gedreht. Und ich denke, wir haben damit auch viel erreicht. Wir waren in jeder Klasse, haben den Film gezeigt und darüber diskutiert – mit allen Kursteilnehmenden. Ausserdem haben wir bei den Frauen–Znacht immer weiter diskutiert. Wir haben auch das Frauenhaus Violetta kennengelernt, uns über Verhütung ausgetauscht, einen Film über Abtreibung geschaut und sind zusammen an die Frauendemo gegangen. Wir haben über Care-Arbeit diskutiert. Und eben eine Foto-Ausstellung zur Care-Arbeit organisiert. Da haben wir Fortschritte gemacht ... ja oder wir sind einfach drauf gestossen.
Ich habe mich gefragt, weil es diese vier grossen Frauenporträts im Frauenraum gibt, inwiefern ihr politische Ziele habt?
So wie ich das erlebe, haben wir keine grossen politischen Ziele. Gleichzeitig sind die Themen, die uns beschäftigen und die wir diskutieren, politisch, ohne dass wir sie als «politische Ziele» beschreiben. Es ist plötzlich passiert. Für mich ist das so wie es ist, bereits politisch. Dafür müssen wir im Moment keine politische Gruppe in dem Sinn sein, dass wir auf die Strasse gehen und protestieren. Wir reden darüber, was wir als Frauen, als ausländische Frauen, erleben. Für mich ist es sehr interessant, denn wir sind von ganz unterschiedlichen Ländern, aber wenn wir über die Frauenprobleme reden, dann sind wir uns irgendwie einig. So denke ich, dass es einen politischen Druck auf Frauen in der ganzen Welt gibt. Wenn wir uns sehen und darüber reden – über die eigenen und gleichen Probleme –, dann wird es politisch.
Ihr arbeitet also prozesshaft, schaut, was sich ergibt und macht dann weiter entlang dem, was euch interessiert?
Ja. Wir wollen Fortschritte machen, die Situation von Frauen ein wenig verbessern. Und wir sind Teil der ASZ, und die ASZ an sich ist politisch. Wenn wir uns also mit Care-Arbeit auseinandersetzen, der eigenen und der draussen, und mit den prekären Arbeitsverhältnissen, dass es keinen oder kaum Lohn gibt ... Auslän- dische Frauen leiden darunter. Sehr. Und jetzt machen wir dieses Projekt.
Ihr habt euch mit dem Frauenhaus Violetta getroffen. Habt ihr noch andere Kontakte zu Frauenorganisationen in Zürich? Gibt es da einen Austausch?
Das ist spontan passiert. Wir sind beim Diskutieren auf das Problem häuslicher Gewalt gestossen. Dabei haben wir uns gedacht, dass es zum Beispiel in der Türkei auch solche Frauenhäuser gibt. Eine von uns hat dann dieses Treffen organisiert. Das Frauenhaus hier funktioniert gleich wie in der Türkei. Wenn eine Frau häusliche Gewalt erlebt, kann sie dort hingehen und erhält erste Hilfe. Das war für uns wichtig zu wissen. Wir haben gemerkt, dass jede Frau diese Frage im Kopf hat: Was kann sie tun, wenn sie Gewalt oder eine Belästigung auf der Strasse erlebt? Als ausländische Frauen müssen wir uns noch mehr informieren, weil wir erstmal keine Ahnung haben, was es hier gibt oder auch nicht. Und darum haben wir diesen Informationsabend gemacht.
Was war euer Interesse am Thema Care-Arbeit?
Frauen haben ja immer viele Probleme. Auch in der Schweiz. Aber vielleicht nicht so grosse wie in unseren Ländern. Wobei ich denke, dass die Probleme in der Schweiz einfach nur verdeckt sind. Wenn du dann weitere Einblicke in das private Leben von Frauen erhältst, siehst du auch, dass es sie gibt. Aber in unseren Ländern sind die Probleme offensichtlicher. Wir Frauen machen so viel Arbeit, die keiner bezahlt. Und das wäre schon eine Forderung, dass Frauen etwas Geld für die ganze Arbeit zu Hause bekommen, oder?
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Für mich ist das Thema der Care-Arbeit vor allem ein soziales Thema. Ich bin auch in politischer Richtung aktiv, aber dies gehört für mich nicht unter einen Hut zusammengefasst. Ich finde, es ist eine soziale Arbeit.
Wenn du sagst soziales Thema und politisches Thema: Was ist genau der Unterschied für dich?
Weisst du, das ist vielleicht wegen meiner Herkunft ein klarer Unterschied. Ein politisches Thema bedeutet für mich der Kampf gegen viele Unterdrücker, gegen politische Gefängnisse ... alles viel schlimmere Sachen. Und Care-Arbeit bedeutet für mich dagegen ein soziales Anliegen oder soziales Problem.
Worum geht es in euren Arbeiten über Care-Arbeit?
Saba: Mit der Care-Arbeit ist es so, dass zum Beispiel die Frau arbeiten geht und der Mann auch. Die Frau arbeitet vielleicht achtzig Prozent ausserhalb, und wenn sie dann nach Hause kommen, bleibt die auch noch ganze Arbeit im Haus an der Frau hängen. Für diese Arbeit zu Hause verdient sie nichts, aber trotzdem macht sie sie. Auch für den Mann. In meinen Collagen geht es darum, dass die Frau viel mehr arbeitet als ein Mann, aber für die viele Hausarbeit nichts verdient. Und man denkt, das ist normal. Auch, dass sie keine Zeit für sich hat, ist normal.
Sibani: Meine Überlegung war, dass es sie überall im öffentlichen Leben gibt: Die Frauen, die für andere die Hausarbeit erledigen. Aber wir wissen nichts davon, beziehungsweise sehen sie nicht. In der Schweiz sagen sie, es seien alle gleich – Mann und Frau und so weiter. Aber ich habe das Gefühl, das ist nicht so. Wenn wir nach draussen gehen, treffen wir auf Schritt und Tritt, Frauen die Care-Arbeit machen für andere. Und für ihre Arbeit bezahlt keiner. Wenn jemand bezahlt, dann sehr wenig. Das heisst, diese Frauen müssen sehr viel arbeiten und verdienen immer noch zu wenig. Auf meinen Bildern sind sie zu sehen, wenn wir einkaufen gehen, im Tram, auf der Strasse: Wir begegnen Putzfrauen, die wir im Alltag als solche nicht erkennen. Das zeigen zu können, dass sie da sind in der Schweiz, war wichtig für meine Fotos.
Azadeh: In meiner Arbeit geht es um einen Businessmann. Er hat seinen eigenen Lohn, sein Appartement, seine Karriere. Und zu Hause macht er nichts und eine Putzfrau macht alles. Sie verdient vielleicht etwas, aber bestimmt nicht genug.
Harika: Die Überlegung meiner Fotoarbeit war, dass es in diesem System Arbeit gibt, die gemacht werden muss. Dass das in der Regel Frauen sind, können wir im Moment nicht ändern. Dass niemand dafür bezahlt und die Resultate deiner Arbeiten sieht, motiviert die Menschen nicht. Eigentlich sind alle Hausfrauen nicht glücklich. Könnte man eigentlich nicht glücklich sein mit jeden Tag der gleichen Arbeit? Du bist und bleibst in der immer gleichen Position.
Und wenn Frauen versuchen etwas anders zu machen, dann gehen sie studieren. Trotzdem bleiben die Arbeiten bei den Frauen, oder? Da habe ich mir überlegt – okay, wenn das ein Mann wäre, der diese Arbeit machen müsste ... Aber eigentlich ist das auch für Männer weder gut noch schön. Und es ist fast schon egal, ob diese Arbeit nun ein Mann oder eine Frau macht. Denkt mal, all die Aufgaben, die wir jeden Tag zu Hause machen, machten jeden Tag unsere Männer und sie sind dann in unserer Po- sition und es ändert sich schlussendlich an der Arbeit nichts. Was sollen wir also tun?
Moment. Es gibt da noch die systemische Komponente: Eigentlich handelt es sich um gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Also müssen sie, wie ihr sagt, gesamtgesellschaftlich gelöst werden. Das ist in der Regel Staatsaufgabe. Doch dafür müsste der Staat Arbeit neu definieren, und hier widerspricht das kapitalistische System: produktives und reproduktives Arbeiten werden unterteilt und unterschiedlich bewertet...
Nafissa: Dann müssen die Leute das eben zusammen machen, zusammen die Räume pflegen, in denen sie leben, die Kinder hüten, die sie später pflegen. Denn diese Arbeit muss gemacht werden. In einem Haus fällt viel an, was gemacht werden muss und das ist Stress. In meinen ersten fünf Jahren in der Schweiz war das vor allem so. Ich hatte keinen Spass. Erst langsam als ich nach draussen gegangen bin und draussen zu arbeiten angefangen habe, wurde das besser. Und jetzt machen die Hausarbeit teilweise mein Mann und teilweise ich und auch die Kinder.
Also Lösungen wären wichtig. Aber es ist nicht klar, was Lösungen wären ...
Ja, wir haben das auch diskutiert, aber die Arbeiten aufteilen und zusammen machen, das sind nur individuelle kleine Lösungen. Aber ob es genug ist für uns, frage ich mich!
Für mich war das auch eine Frage bei den Fotografien: Sollen wir eine Lösung finden oder nur zeigen, was Care-Arbeit für Frauen bedeutet, damit andere Leute das bemerken? Und sich fragen, warum Frauen diese Arbeit machen? Nein, ich denke, dieses Projekt ist nicht dazu da, um die Lösung zu finden, aber die Frage nach der Lösung ist eine Frage, die mich beschäftigt. Jetzt weiss ich mehr über die Care-Arbeit und ich frage mich: Was für ein Scheiss ist das eigentlich? Wie im richtigen Leben!
Das heisst, es braucht eigentlich eine Lösung von der gesamten Gesellschaft im Kontext des kapitalistischen Systems und der Gesellschaftsstruktur, weil die Familie allein das nicht lösen kann. Elba kann sich zum Beispiel heute nicht frei nehmen und mit uns diskutieren, weil ihre Tochter in der Schule eine Veranstaltung hat, wo sie als Mutter erwartet wird ...
... Jetzt sind wir doch wieder bei der Politik ...