1. Mai 2010 Offener Brief von abgewiesenen Asylsuchenden

Notunterkünfte machen krank

Betten in der Notunterkunft in Uster.

Auszug aus einem offenen Brief von abgewiesenen Asylsuchenden an den Bundesrat und die zuständigen Behörden. – Es ist bekannt, dass sich die Situation abgewiesener Asylsuchender seit der Abstimmung über das neue Asyl- und Ausländergesetz 2006 laufend verschlechtert. Unregelmässigkeiten stellen die einzige Regelmässigkeit dar.

Die Situation abgewiesener Asylsuchender ist je nach Kanton unterschiedlich, doch alle leben unter prekären Bedingungen. Oft werden dreissig bis fünfzig Personen in einer alten Baracke zusammengepfercht, in Gruppen von sechs und mehr Menschen in einem einzelnen Zimmer, das nicht grösser ist als 15 Quadratmeter. Menschen unterschiedlicher Herkunft werden zusammen in einen Raum gesteckt, ohne Rücksicht auf Kultur, religiöse Tabus und politische Einstellung.
Es ist Alltag, dass Familien mit Kindern in einem Raum plaziert werden, der keinerlei Privatsphäre zulässt. Auch Säuglinge und Frauen und Männer hohen Alters sind in den Notunterkünften zu finden.

Die Menschen im Nothilfe-Regime fühlen sich schikaniert. Einige müssen die Unterkunft jede Woche wechseln, damit sie keine Beziehungen zu Menschen in der Umgebung oder zu anderen Asylsuchenden aufbauen können. Im Kanton Zürich müssen sie mit Migros-Gutscheinen im Wert von 8.60 bis 10 Franken pro Tag auskommen.

Der freie Verkehr von Gütern und Dienstleistungen gilt heute als selbstverständlich und wird von allen Nationalstaaten gutgeheissen, doch die grenzüberschreitende Bewegung von Menschen wird seit 50 Jahren bekämpft, weil die Menschen in der entwickelten Welt Reichtum angehäuft haben, den sie den Menschen aus den Entwicklungsländern missgönnen. Dabei sind sie ursprünglich selbst aus diesen Ländern eingewandert. Sie sahen es als ihr Recht an zu migrieren, doch den anderen gewähren sie dieses Recht nicht.

In der Schweiz ist die Krankenversicherung obligatorisch, doch uns verbieten sie den Abschluss einer Versicherung und wir können keinen Arzt besuchen, es sei denn, wir brechen vor der Tür der Administration einer Notunterkunft zusammen oder schlucken Hunderte von Tabletten, die uns von medizinisch nicht geschultem Personal ohne vorherige Diagnose verabreicht werden. Dabei handelt es sich um Hustentabletten, aber auch um Schmerzmittel, Anti-Depressiva oder Schlaftabletten.

Seit Mitte 2007 hat dieses Land Zentren eröffnet, die dazu dienen, depressive und kranke Menschen zu produzieren, die nichts zur Zukunft der Welt beitragen können, solange keine Investition in ihre Rehabilitation getätigt wird, um sie ins normale Leben zurückzubringen.
Als Nebeneffekt tragen diese Zentren zu einer dysfunktionalen Gesellschaft bei, sie verstören Menschen und erzeugen Frustration, die in Aggressionen und einen Verlust der Menschlichkeit umschlagen kann.

Viele Bewohner der Notunterkünfte sind schon seit Jahren im Land, haben lange Zeit gearbeitet, waren gesetzestreue Bürger und haben Steuern bezahlt. Heute sind sie zwangsweise arbeitslos.
Menschen, welche die Möglichkeit und den Willen haben, zum wirtschaftlichen Wohlstand beizutragen, werden gezwungen, von einer minimalen Nothilfe zu leben und sich wie Bettler zu verhalten. Und das alles um die Propagandamaschine einiger der machthabenden Parteien am Laufen zu halten.

Wir wissen nicht, wie wir mit der Nothilfe beispielsweise die Kosten für unsere Kleidung bezahlen sollten. Einige haben von früher noch etwas übrig, andere waschen ihre einzigen Kleider in der Nacht und tragen sie am nächsten Morgen, ob sie nun trocken sind oder nicht.
Die meisten Asylsuchenden sind Opfer von Menschenrechtsverletzungen nach
Artikel 13.1 und 13.2 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: «Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. Jeder hat das Recht, jedes Land, einschliesslich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.» Wenn eine Person in ihrem Herkunftsland in Gefahr ist, besteht die einzige Hoffnung auf Schutz darin, in einem anderen Staat Asyl zu suchen, bis die Gefahr vorüber ist. Deshalb hält Artikel 14.1 der Menschenrechtserklärung fest: «Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu geniessen.»

Wir wurden durch Bürgerkriege, religiöse Konflikte, Folter, aussergesetzliche Tötungen und Verletzungen der Menschenwürde durch die Mächtigen in unseren Ländern in die Flucht getrieben. In einigen Ländern will eine Minderheit alle Menschen unter ihre Schirmherrschaft stellen, andere wollen die Nation in ihre herrschende Partei zwin- gen, einigen von uns wird das Recht auf Versammlungsfreiheit und Meinungsäusserungsfreiheit verwehrt, ganze Nationen werden unterdrückt.

Es ist beschämend, dass Menschen mit Gewalt gegen ihren Willen in Länder ausgeschafft werden, in denen diktatorische Regimes an der Macht sind. Wenn jemand getötet wird, heisst es dann: «Wir haben ihn nicht getötet, wir haben ihn nur gezwungen, das Land zu verlassen. Die Tötung ist ausschliesslich der Regierung des Herkunftslandes anzulasten.» Was vor sechzig Jahren passiert ist, darf sich nicht täglich wiederholen.

Da wir zwischen zwei Feuern stehen, von denen eines von der Regierung unseres Heimatlandes gelegt wurde und eines von der Schweizer Regierung, ersuchen wir Ihr Amt, die Schweizer Bürger und die internationalen Organisationen

  • Die Ausschaffung von Asylsuchenden in Länder zu stoppen, in denen Folter und
  • Menschenrechtsverletzungen an der Tages- ordnung sind;
  • Die so genannte «Dynamisierung» (wö- chentlicher Wechsel der Notunterkunft) zu stoppen, da sie eine unmenschliche Praxis darstellt;
  • Die Auszahlung der Nothilfe in Migros- Gutscheinen zu stoppen, weil die Gutscheine nur in Migros-Filialen verwendet werden können, die ohne Tickets oft gar nicht zu erreichen sind;
  • Den Aufenthalt abgewiesener Asylsu- chender zu regularisieren, damit sie ökono- misch, geistig und kulturell zum Gemeinwohl beitragen können.

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