30. Mai 2022 Antoinette Mendy
Wie eine scharfe Sauce zu einer unvergesslichen Begegnung führte. Eine Geschichte aus der Küche der ASZ.
Es war ein Freitag Anfang Oktober. Umgeben von einem wunderbaren Team war ich in den Lungen der Autonomen Schule Zürich ASZ und im Herzen unseres Cafés: der Küche. An diesem Tag war das Menü eine flambierte gehackte Pouletbrust, mariniert nach MamaAfrikas Art mit Méli-Mélo von frischem Gemüse, begleitet von Djolof-Reis. Mmmmh …
Ich ging meinen Geschäften nach, aber das Essen war fast fertig. Obwohl diejenigen, die mir halfen, für einen Moment weggegangen waren, waren die Anwesenheit von Menschen und die Geräusche meine Gesellschaft. Meine unaufhörlichen Schritte zwischen Ofen, Arbeitsplatte und Spüle wurden rhythmisch, wenn mich die Musik kitzelte und vorantrieb – und mich nebenbei schwindelig machte. Ich nahm meine kleine Scharfe Sauce, die ich nie abschmecke, vom Feuer und gab sie in eine kleine Schüssel.
Ich warf einen Blick in die Kaffeestube. Meine Aufmerksamkeit wurde auf einen Mann gelenkt, der an einem Tisch sass. Er wirkte so einsam inmitten von Hunderten. Da ich dieses Gefühl gut kenne, blieb ich stehen und starrte ihn an. Wie telepathisch hob er seinen Kopf, sah mich an und senkte ihn dann wieder. Was ich in seinen Augen und seinem Gesicht las, brach mir das Herz. Als wäre er schuldig erwischt worden, stand er auf und ging in Richtung Vorzimmer nebenan. Ich warf ohne zu zögern hin, was ich in der Hand hatte, und ging mit einem scharfen Schritt auf ihn zu, während ich zu mir selbst sagte: «Dass meine Sauce anbrennt, ist mir egal.»
Die Traurigkeit oder Niederlage des Mannes konnte ich aus seinem entleerten Blick ablesen. Die unregelmässigen Hebungen seines Adamsapfels zeigten, wie er gegen seinen Drang, zu weinen, kämpfte. Es schien ihm unglaublich, mich zu ihm kommen zu sehen. Ich setzte mich vor ihn hin, nahm Blickkontakt auf und sagte mit leiser Stimme zu ihm: «Mein Bruder, Männer haben auch das Recht zu weinen. Es kann helfen, den Überlauf in seinem Herzen zu lösen, und wenn du willst, ist die Schulter von MamaAfrika da, ich habe auch ein Taschentuch für dich.» Dann rief ich: «Scheisse! Es ist keine Schande loszulassen.»
Hinter mir hörte ich: «Kann ich deine Sauce probieren?» Mein Gott! hoffentlich tut er’s nicht! Ich drehte mich wie eine Operntänzerin um und wollte den Schaden abwenden.
Wie ein Kind warf er seine Arme um meinen Hals, und ich erlebte eine lange Minute. Als sein ersticktes Schluchzen die in ihm angesammelten Gefühle verriet, die auf seine Verletzungen zurückgingen. Er zitterte so sehr, dass es tief in ihm war. Ich habe noch nie einen solchen menschlichen Schrei gehört, ich verstand, dass seine Würde verletzt worden war und dass er in einem schrecklichen Dilemma schwankte. Ich war verstört, aber ich zeigte mit dem Finger nach oben und sagte: «Er ist hier, warte, es wird gut gehen.» Vielleicht halfen ihm seine Kultur, sein Glaube oder einfach seine Zurückhaltung. Er erholte sich jedenfalls schnell. Er nickte mit dem Kopf und flüsterte immer wieder: Danke. Und auch das ist die ASZ.
Ich ging zurück in die Küche. 15 Minuten später hörte ich hinter mir: «Kann ich deine Sauce probieren?» Mein Gott! hoffentlich tut er’s nicht! Ich drehte mich wie eine Operntänzerin um und wollte den Schaden abwenden. Aber mein «Nein» blieb im O meiner Lippen stecken, denn bevor ich das Wort sagen konnte, tauchte er – zack - ein Stück Brot hinein und führte damit eine rechte Dosis Scharfesosse zu seinem Mund. Sorry! Ich kann seinen Schrei nicht beschreiben (aber immer noch lacht es in mir, wenn ich daran denke.) «Hoppla!» geht es mir durch den Kopf. Er war ganz rot mit seinen Hasenohren und klatschte die Hände wie ein Pinguin. Von einem Fuss auf den anderen hüpfend, kam er zu mir mit ausgestreckter Zunge und dem Stück Brot darauf.
Das O immer noch auf meinem Mund, dachte ich: Ist er dumm oder was? Warum spuckt er’s nicht einfach aus? Es war wohl so scharf, dass er diesen Reflex verlor. Ich streckte meine Hand nach seinem Mund aus und sagte: «Du beisst mich nicht, gell?» Er machte zuerst Ja mit seinem Kopf, dann Nein. Ganz seriös, sage ich: Was? Soll ich den Fotografen oder die Feuerwehrleute anrufen? Er streckte seinen Hals aus und machte «huh, huh», zeigte auf seine brennende Zunge, dann auf mich, anstatt zu spucken und setzte seine Pinguinschläge wieder fort. Mein Gott, es war so komisch. Was sollte ich tun ausser zu lachen?
Ich nahm mich zusammen, packte das Stück Brot auf seiner Zunge und sagte zu mir: «Solange Du noch ein paar Finger übrig hast.» Er rannte zum Wasserhahn, ich hörte wie er schluckte und dann nach draussen. Weil ich ihn nicht mehr sah, ging ich zu ihm hin. Der arme Mann lag auf den Knien mit dem Gesicht auf der anderen Seite der Rampe und versuchte, sich mit seiner Hand Wind zuzufächeln . Ich sage: «Geht’s?» Er: «Wie kannst du nur diese Bomben-Sosse essen?» Ich: «Nun, essen tu ich sie nicht!» Und er: «Yallah, Yaa Khaïti Mulani Yuhuhuu!». Ich bog mich vor Lachen.
Sein Freund, der auch dort war, konnte es nicht mehr ertragen, besonders als er sagte: «Lachen kühlte das Feuer in meinem Mund.» Ich bemerkte, dass er seine Hand rieb, darum sagte ich zu ihm: «Berühre deine Augen nicht und geht nicht gerade pissen, OK?» Ich hörte ein lautes: «Warum?» Ich: «Weisst du, ’der General’ ist es nicht, weil er schwer ist, dass man ihn unterstützen, sondern aus Respekt, Punkt. Ist es nicht? Mach weiter, und du wirst mir einige Neuigkeiten erzählen!» Diesmal war er es, der die Augen verdrehte und ein O auf dem Mund hatte. Als er es verstand, brach ein Prusten aus ihm heraus. Ich stiess dem Mann, den ich gerade getröstet hatte in die Rippen und sagte zu ihm: «Du hast auch ein Recht auf Dein Lachen.» Ich ging und riet dem Pinguin, Honig zu trinken.
Und auch das ist die ASZ.
Ich wartete auf den Bus, der mich zur Station Hubertus bringen sollte. Trotz meiner Maske hörte ich plötzlich ein lautes und fröhliches: «MamaAfrika!» Ich sagte mir: Das kann nur vom Netz-Gewebe kommen, das die Autonome Schule Zürich ist. Als der Rufende merkte, dass ich ihn nicht sofort erkannte, sagte er: «Yallah! Mama, deine Scharfe-Sosse ist eine Bombe!» Dann gingen wir zusammen an die ASZ und merkten, wie viel Kommunikatives in einem Lachen stecken kann, so dass auch diejenigen von ihm berührt wurden, die um uns herum waren oder zufällig an uns vorbeikamen. Es war Balsam für das Herz.
Und auch das ist die ASZ.