10. August 2016 Mr. Baloch

Raus aus der Komfortzone: Habt den Mut zu sagen, was falsch ist!

Die Demonstration Gekommen um zu bleiben zieht durch Zürich-Oerlikon, 19. März 2016. (Bild: PZ)

Der Autor dieser Rede kommt aus Belutschistan, einer Region in Pakistan, die für ihre Unabhängigkeit kämpft. Er leibt seit über drei Jahren mit unsicherem Status in der Schweiz. Die Rede hielt er am 19. März 2016 an der Demo Gekommen um zu bleiben in Zürich.

Hoi zusammen!

Seit drei Jahren und vier Monaten lebe ich in der Schweiz als Asylsuchender. Ich komme aus Belutschistan.1 Mein Asylge­such wurde zwei Mal abgewiesen: einmal vom Bundesamt für Migration, einmal vom Gericht. Derzeit lebe ich in der Schweiz von Nothilfe – was die Zukunft für mich bringt, weiss ich nicht.

Wenn wir uns die Asylgesuche in der EU des Jahres 2015 ansehen, sind von insge­samt 1'321'560 gerade einmal 292'540 an­genommen worden. Gemäss dem Bericht der UNHCR nahmen bis im Februar 2016 allein die umliegenden Länder Syriens fast fünf Millionen geflüchtete Syrier*in­nen auf  – und trotzdem weint und schreit das reiche Europa, dass "wir" genug auf­genommen und keinen Platz mehr hätten. Ich denke nicht, dass das stimmt: Das Problem ist nicht der Platz, das Problem ist der Wille der Regierungen.

Niemand flüchtet aus Spass oder Vergnü­gen aus seiner Heimat und bringt seine Familie nach Europa. Wir, die Geflüchte­ten, kommen aus Kriegsgebieten, aus Mi­litärdiktaturen, aus dem Elend. Ich konnte nicht einmal meiner Mutter Lebewohl sa­gen, bevor ich damals meine Heimatstadt verlassen habe.

Waffenlieferungen: Ist der Westen wirklich so dumm?

Vor Kurzen schloss die EU mit der Türkei einen Vertrag ab und zahlt jetzt einen ganzen Haufen Geld, damit die Türkei die Geflüchteten daran hindert, nach Europa zu kommen. Der Westen beging in den neunziger Jahren denselben Fehler mit den Pakistani – aufgrund dieses Entschei­des leidet die ganze Region bis heute.

Ist der Westen wirklich so dumm? Kennt er die Konsequenzen seines Handelns nicht? Natürlich kennt er sie. Die Regie­rungen richten dieses Chaos mit Absicht an – wer würde sonst ihre Waffen kaufen, wenn es keinen Krieg mehr gäbe? Wisst ihr, wie viele Waffenproduzenten es in Europa gibt? Es sind rund 230 alleine in der EU.

Gemäss dem Stockholmer internationalen Friedensforschungsinstitut (SIPRI) ist Europa nach den USA, Russland und China der grösste Waffenlieferant der Welt. Was geschieht hier? Welche Rolle spielt die EU in diesem blutigen Geschäft?

Die EU will Geld, um ihr luxuriöses Leben weiterführen zu können. Ihre Wirtschaft will sie weiter wachsen lassen, um da­durch noch reicher zu werden. Aber was ist mit dem Rest der Welt? Was ist mit Syrien, Afghanistan, Belutschistan, Kur­distan, mit den afrikanischen oder tamili­schen Ländern? Für uns gibt es nur Fins­ternis. Armut, verstümmelte tote Körper, Waffen, Krieg und Blut.

Die Horte terroristischer Gruppen

Die Türkei, Saudi-Arabien, Pakistan und der Iran sind – mit Unterstützung des Westens – die hauptsächlichen Fabriken und Horte terroristischer Gruppen. Sie bieten ihnen ideologische und ökonomi­sche Unterstützung. Ich habe nie gehört, dass die Schweiz oder Deutschland eine Schule oder ein Forschungsinstitut in meiner Region gebaut hätten. Die deut­sche AK-47, die beste österreichische Handgranate und Schweizer Revolver sind uns dafür umso vertrauter! Der Wes­ten bietet Pakistan eine immense Menge Waffen an – Waffen, mit denen die Regie­rung sodann unschuldige belutschische Zivilist*innen tötet und die belutschische Freiheitsbewegung zermalmt.Die Türkei tut dasselbe mit den Kurd*innen.

Was passiert nur auf dieser Welt?! Lasst uns all das als Weckruf sehen. Lasst uns einsehen: Genug ist genug. Und ich den­ke, es ist wirklich mehr als genug gesche­hen.

Habt kein Mitleid mit uns Geflüchteten. Almosen und Barmherzigkeit sind auf lange Sicht keine Lösung. Lasst uns dafür einander das Versprechen geben, dass wir alle unsere gebührende Rolle einnehmen werden, um einen positiven Wandel her­beizuführen. Ich bin sicher, dass wir das schaffen. Ihr Schweizer*innen, Westeuro­päer*innen habt die beste Ausbildung, die grösste Freiheit – alles was ihr tun müsst, ist, aus eurer Komfortzone heraus­zukommen. Bekennt euch zum Wandel und habt den Mut, zu sagen: Falsch ist falsch! Die Ungerechtigkeit muss gestoppt werden! Die Waffenproduktion muss ge­stoppt werden! Keine Kriege mehr! Dann, so bin ich sicher, können wir viele Regio­nen vor dem Krieg retten, und jede*r könnte in seinem eigenen Zuhause glück­lich sein und hätte keinen Grund, Asyl zu erbitten. Ich brauche dieses Versprechen von euch!

Seid ihr bereit, euch zum Wandel zu be­kennen?

Lang lebe der Frieden, die Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit.

Übersetzung aus dem Englischen von Sharon Saameli

1) Belutschistan ist eine besetzte Provinz im Süden Pakistans. Seit fast siebzig Jahren kämpfen die Belutsch*innen für ihre Unabhängigkeit. Diese Bestrebungen werden von Pakistan blutig unterdrückt. (Red.)

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