7. Februar 2013 Metin Aydin Komitee

Repression gegen den kurdischen ­Befreiungskampf in der Schweiz

Bis Mitte November 2012 befanden sich in der Türkei mindestens 776 kurdische Gefangene im Hungerstreik, um auf diese Weise gegen ihre Inhaftierung und gegen die Unterdrückung des kurdischen Volkes zu protestieren. Aus denselben Gründen trat auch der politische Aktivist Metin Aydin in einem schweizer Gefängnis in den Hungerstreik. Nach mehr als 58 Tagen war er dem Hungertod sehr nahe. Am Mittwoch, dem 31. Oktober 2012, wurde er in einem sehr kritischen Gesundheitszustand nach Deutschland ausgeliefert.

Metin Aydin ist ein kurdischer Aktivist aus der Türkei, der als anerkannter politischer Flüchtling in Frankreich lebte. Im Juli 2011 wurde er bei einer Reise in die Schweiz wegen eines Interpol-Auslieferungsgesuchs aus Deutschland festgenommen. Danach befand er sich über ein Jahr in Auslieferungshaft. Das Bundesamt für Justiz bewilligte am 24. Februar 2012 die Auslieferung nach Deutschland. Gegen diesen Entscheid reichte sein Anwalt beim Bundesgericht Lausanne eine Beschwerde ein, die abgewiesen wurde. Bekannt wurde dies aber erst nach der Auslieferung.

Die Bundesrepublik Deutschland wirft Metin Aydin vor, für die PKK («Partiya Karkeren Kurdistan» – Arbeiterpartei Kurdistans) und deren Jugendorganisation  KCK («Komalen Ciwanen Kurdistan» – Gemeinschaft der Jugendlichen) seit März 2008 politisch aktiv gewesen zu sein und als Kadermitglied junge Kurd_innen als Freiheitskämpfer_innen angeworben und ausgebildet zu haben. Der Paragraph 129b des Deutschen Strafgesetzbuchs (D-StGB) stellt «Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung» unter Strafe. Zum Strafbestand gehören auch die Rekrutierung und Ausbildung neuer Aktivist_innen. Es verhält sich aber so, dass die blosse Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, unabhängig von einer vereinigungsbezogenen Tätigkeit, zur Anwendung von §129b und zu Haftstrafen von ein bis zehn Jahren führt. In der Schweiz gibt es einen vergleichbaren Paragraphen mit dem Straftatbestand der angeblichen «Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung» nicht, und somit hat Metin Aydin nichts begangen, was laut schweizerischem Gesetz strafbar wäre. Trotz fehlendem Tatbestand lieferte die Schweiz den kurdischen Aktivisten an Deutschland aus, wo ihm nach Absitzen einer Strafe die Auslieferung an die Türkei droht, da zwischen Deutschland und der Türkei (nicht aber zwischen der Schweiz und der Türkei) ein entsprechendes Abkommen besteht.

Metin Aydin droht Folter

Im Fall einer Auslieferung haben die Beteuerungen seitens der Türkei, Metin Aydin nicht zu foltern und ihm ein rechtsstaatliches Verfahren zu gewähren, kein Gewicht: er ist somit Folter, Freiheitsstrafe und Verfolgung ausgesetzt. In den letzten drei Jahren hat die türkische Regierung mindestens 8‘000 Menschen gefangen genommen, unter ihnen viele Anwälte, Bürgermeister, Abgeordnete, Politiker_innen, Professor_innen, Journalist_innen und sogar Kinder. Im Krieg, den die Türkei gegen die kurdischen Freiheitskämpfer_innen führt, haben in den letzten 30 Jahren 40‘000 Menschen ihr Leben verloren, darunter viele Zivilist_innen. Vor einem Jahr, am 28. Dezember 2011, hat das türkische Militär bei einer Aktion in den Bergen 35 kurdische Zivilist_innen getötet (siehe etwa das Massaker in Roboskî-Qilaban). In der Türkei leben rund 20 Millionen Kurden und Kurdinnen, deren Sprache nicht anerkannt ist und die nur beschränkte demokratische Mitbestimmungsrechte haben. Wer sich gegen diese Zustände auflehnt, wird verfolgt, inhaftiert oder zur Flucht ins Ausland gezwungen.

Menschenrechtsaktivist_innen als Terrorist_innen?

Indem die Schweiz Metin Aydin an Deutschland ausliefert, agiert sie zusammen mit den europäischen Ländern als verlängerter Arm der türkischen Regierung, die das kurdische Volk systematisch verfolgt  und unterdrückt. Es darf nicht sein, dass die Schweiz Handlanger spielt für repressive Systeme. Alles deutet darauf hin, dass es sich einerseits um wirtschaftliche Interessen, andererseits um eine Signalpolitik gegen politisch aktive Menschenrechts- und Freiheitskämpfer_innen handelt. Der Prozess um Metin Aydin steht deshalb ganz im Zeichen einer zunehmenden Tendenz der Repression gegen politische Bewegungen in Europa. Dies zeigt sich insbesondere durch Anwendung des Paragraphen 129b D-StGB, der die blosse Mitgliedschaft in einer «terroristischen» Vereinigung im Ausland unter Strafe stellt. Die Auslieferung von Metin Aydin soll vermutlich Signalwirkung haben und bedeutet konkret: ab jetzt werden alle Menschen, die sich im kurdischen Befreiungs- und Menschenrechtskampf engagieren, als «Terrorist_innen» verdächtigt.

Man muss sich fragen, welches Zeichen die Inhaftierung und Auslieferung von Metin Aydin an hier lebende Kurd_innen aussendet. Diesen Menschen dient die Schweiz seit Jahren als Zuflucht, nachdem sie aufgrund des kurdisch-türkischen Konflikts als politische Flüchtlinge anerkannt worden sind. Die Schweiz verhält sich alles andere als neutral  und lässt sich von anderen Staaten herumkommandieren. In der Geschichte Kurdistans spielt die Schweiz ausserdem eine zweifelhafte Rolle: 1923 unterschrieben die Türkei und die Alliierten in Lausanne einen Vertrag, der Kurdistan auf die vier Länder Türkei, Iran, Irak und Syrien aufteilte, das Land unter Fremdherrschaft stellte und eine Periode von Verfolgung und Unterdrückung des kurdischen Volkes einleitete. Erst kürzlich überreichte die Schweizer Regierung den Tisch, auf dem dieser Vertrag unterzeichnet wurde, dem türkischen Präsidenten Erdogan als Geschenk.

Heimliche Auslieferung

Aufgrund seiner prekären gesundheitlichen Verfassung nach 58 Tagen Hungerstreik wurde Metin Aydin im Oktober 2012 im Universitätsspital Zürich und im Inselspital Bern behandelt. Anscheinend wurde den verantwortlichen Personen die Situation dann allerdings zu prekär und Metin Aydin wurde trotz seinem gesundheitlich kritischen Zustand nach Deutschland ausgeliefert. Informiert wurde nicht einmal sein Anwalt. Wahrscheinlich wollte man öffentliche Reaktionen verhindern und hatte Angst, ein an einem Hungerstreik gestorbener Mann könnte dem Ruf der Schweiz schaden.

Gegen die Inhaftierung und Auslieferung von Metin Aydin bildete sich eine breite Solidaritätsbewegung und ein Komitee, das seine sofortige Freilassung forderte und die Kriminalisierung von politisch aktiven Menschenrechts- und FreiheitskämpferInnen anfocht. Es fanden dazu verschiedene Demonstrationen statt, die letzte am 2. November 2012 in Bern.

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