24. Oktober 2018 Peter Niederöst

Sand im Getriebe der Unrechtsjustiz

Der kantonalen Sicherheitsdirektion sind alle Mittel recht, um Weggewiesene zu einer «freiwilligen» Ausreise zu bewegen. Die Grund- und Menschenrechte werden dabei mit Füssen getreten, der Rechtsschutz versagt weitgehend. Die Arbeitsgruppe Recht des Bündnisses Wo Unrecht zu Recht wird... hält dagegen.

Wenn Asylsuchende einen negativen Ent­scheid erhalten, geraten sie in eine Sphäre der Illegalisierung und Entrechtung. Sie haben kein Aufenthaltsrecht mehr in der Schweiz, sind nicht mehr im Besitz eines Identitäts­ oder Ausländer*innenauswei­ses, unterstehen einem auch strafrechtli­chen Arbeitsverbot und werden nur noch auf dem niedrigsten Niveau der Nothilfe  unterstützt. Sie werden in einer sogenannten Notunterkunft untergebracht und erhalten pro Woche 60 Franken. Nicht selten leben Betroffene während Jahren, in einzelnen Fällen über zehn Jahre lang, unter solch prekären Bedingungen.

Missbrauch der Nothilfe

Seit einer Verschärfung Anfang 2017 wird die Nothilfe in fünf über die Woche verteilten Tranchen ausbezahlt. Voraussetzung für die Auszahlung ist seither, dass die Personen während der ganzen Woche in der Notunterkunft übernachten. Zur Bestätigung müssen sie sich zweimal täg­lich innerhalb eines kurzen Zeitfensters in der Notunterkunft melden. Wer einen Termin versäumt oder nicht in der Notun­terkunft übernachtet, erhält keine Nothilfe. Das kantonale Sozialamt begründet dieses Regime, welches die Bezüger*innen an die Notunterkünfte bindet, mit der Verhinde­rung von Missbräuchen. Die zynische Argumentation: Eine Person, die nicht in der Notunterkunft übernachte, befände sich nicht in einer Notlage.

Über fünfzig Personen haben das neue Nothilferegime bei der Sicherheitsdirektion angefochten – vergeblich. Kürzlich hat das Bundesgericht entschieden, dass die Praxis, die Nothilfezahlungen an Prä­senz und Übernachtungspflichten zu knüpfen, nicht anfechtbar sei. Der Rechtsweg stehe den Betroffenen erst dann offen, wenn es zu einer Kürzung der Nothil­feleistungen komme. Entsprechende Re­kurse sind bereits hängig.

Fragwürdige Rolle der ORS AG

Die Notunterkünfte werden im Auftrag des Kantons Zürich von der ORS AG be­trieben, einer privaten, gewinnorientierten Firma. Und entgegen der gesetzlichen Regelung entscheidet nicht das kantonale Sozialamt, ob im Einzelfall die finanzielle Nothilfe bezahlt wird oder nicht, sondern die Mitarbeiter*innen der ORS AG. Wer nicht rechtzeitig zur Präsenzkontrolle in der Notunterkunft erscheint, ist ihrer Ein­schätzung unterworfen. Mitarbeiter*innen einer Aktiengesellschaft entscheiden da­mit über die Auszahlung staatlicher Not­hilfe. Gemäss Verwaltungsgericht des Kantons Zürich ist es fraglich, ob dafür eine genügende gesetzliche Grundlage besteht. Ein Rechtsgutachten der Universität Zürich kommt sogar deutlich zum Schluss, dass eine solche Grundlage nicht gegeben ist. Ein Rechtsverfahren zur Klärung der Frage ist hängig.

Unzulässige Einschränkung der verfassungsmässigen Rechte auf Hilfe in Notlagen und auf Bewegungsfreiheit

Trotz der sehr niedrigen Nothilfe setzen die Behörden abgewiesene Asylsuchende zusätzlich unter Druck. Seit Mitte 2016 verfügt das Migrationsamt systematisch Eingrenzungen auf das Gebiet der Ge­meinde oder des Bezirks, in dem sich die Notunterkunft befindet. Begründet wird die Eingrenzung damit, dass die betroffe­ne Person die Schweiz nicht innert ange­setzter Frist verlassen habe.

Gegen die 444 Eingrenzungen im Zeit­raum vom 1.1.2016 bis zum 30.9.2017 wurden zahlreiche Beschwerden einge­reicht. Von den 161 Rekursen wurden 48 ganz oder teilweise gutgeheissen. Leider hat das Bundesgericht kürzlich in einem Leiturteil entschieden, es sei zulässig, rechtskräftig weggewiesene Asylsuchende allein zu dem Zweck einzugrenzen, sie  damit zur «selbstständigen» Ausreise zu bewegen. Es sei dabei nicht nötig, dass die betroffene Person ausgeschafft werden könne. Es genüge, wenn sie das Land legal verlassen könne. Damit stiess das Bundesgericht einen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich um.

Unzulässige Verurteilungen zu Freiheitsstrafen wegen rechtswidriger Einreise und rechtswidrigen Aufenthalts

Nach der Rechtsprechung des Bundesge­richts ist die strafrechtliche Verurteilung wegen rechtswidriger Einreise und rechts widrigen Aufenthalts nur dann zulässig, wenn die Migrationsbehörden zuvor alles Zumutbare unternommen haben, um den Entscheid zur Wegweisung zu vollziehen, die Ausschaffung jedoch an der mangeln­den Mitwirkung der betroffenen Person gescheitert ist.

Trotz dieser Vorgaben werden rechtskräf­tig weggewiesene Asylsuchende im Kanton Zürich systematisch und wiederholt wegen rechtswidrigen Aufenthalts straf­rechtlich verfolgt – und häufig zu unbe­dingten Freiheitsstrafen verurteilt. Die Frist, dagegen Einsprache zu erheben, beträgt nur zehn Tage. Sie wird oft bereits deshalb versäumt, weil die Verurteilten nicht verstehen, worum es geht.

Schreiendes Unrecht – fehlender Rechtsschutz

Ohne die engagierte Unterstützung der Arbeitsgruppe Recht des Bündnisses Wo Unrecht zu Recht wird... könnten sich die betroffenen Personen gegen die mas­sive Repression der Behörden nicht zur Wehr setzen. Mobile Rechtsberatungs­gruppen halten dagegen: Sie besuchen die Betroffenen regelmässig in den Notunterkünften, um sie zu beraten und Mandate zu übernehmen oder zu vermitteln. Diese schwierige Arbeit ist von unschätzbarem  Wert. Sie wird von Laiinnen und Laien auf freiwilliger Basis geleistet. Ihnen ge­bührt an dieser Stelle ein grosses Danke­schön!

Die Arbeitsgruppe Recht wird von folgenden Organisationen mitgetragen: Autonome Schule Zürich, Freiplatzaktion Zürich, Sans-Papiers Anlaufstelle Zürich, Solinetz Zürich und Demokratische Juristinnen und Juristen Zürich.

Peter Niederöst ist Rechtsanwalt.

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