10. August 2016 Younes Bournane
Menschen, deren Asylgesuch abgewiesen wurde, sind nirgendwo zu Hause. Das Migrationsamt sorgt systematisch dafür, dass sie keine Ruhe finden. Das geht so weit, dass ihnen Schlafplatz und Nothilfe verweigert werden.
Das Migrationsamt der Stadt Zürich fällt durch seine Kreativität hinsichtlich der Strategien gegen Asylsuchende und speziell gegen Sans Papiers auf. Es wendet tückische Techniken an, die das Ziel haben, Asylsuchende psychisch zu beugen und dafür zu sorgen, dass sie in ihrem Leben keine Ruhe und Stabilität finden können.
Diese Technik weist mehrere Phasen auf mehreren Ebenen auf. Zum einen gibt das Migrationsamt Asylsuchenden nur acht Franken pro Tag. Das ist weniger, als man für das Leben in der Schweiz braucht. Ich will nicht länger darüber sprechen, weil die Mehrheit der Leute weiss, dass ein Leben mit nur acht Franken pro Tag eine unmögliche Herausforderung darstellt.
Zum anderen verfolgt das Migrationsamt die Strategie, abgewiesenen Asylsuchenden keinen festen Platz zum Wohnen zuzuweisen. So müssen Sans Papiers ihren Wohnort alle sieben Tage wechseln. Das bedeutet, dass man sich jede Woche beim Migrationsamt am Berninaplatz melden und mindestens eine Stunde warten muss. Danach muss man sich zum Sozialamt an der Schaffhauserstrasse begeben. Dort bekommt man eine Adresse für einen Schlafplatz. Eine Person ohne Papiere erlebt das jede Woche, und immer trägt sie ihr ganzes Gepäck überallhin mit.
Psychische Probleme, Aggressionen, Ruhelosigkeit
Man kann beobachten, dass Leute, die dies erleben, aggressiv werden. Die Mehrheit von ihnen hat psychische Probleme. Ihr Seelenzustand ist einer unvorstellbaren Zerstörungskraft ausgesetzt. Diese Personen kennen den Geschmack des Schlafs nicht mehr, sie haben auf Grund der Anstrengungen des Migrationsamtes sogar die Bedeutung der Worte «Ruhe» und «Stabilität» vergessen. Diese Worte wurden aus ihrem Gedächtnis ausgelöscht. Oft sind die «Zimmer der sieben Tage» voller Alkohol und Drogen. Die Menschen dort leben nicht, sie überleben – vielmehr versuchen sie, zu überleben – angesichts der traurigen Realität, auf der Flucht vor der bitteren Realität.
Und was danach passiert, ist die schockierendste Phase der Strategie des Migrationsamts: Wenn eine Person aus dem Gefängnis zurückkehrt, in welches sie wegen illegalem Aufenthalt gesteckt wurde, und dort während der Haft gearbeitet hat, was in den meisten Schweizer Gefängnissen zwecks «Wiedergutmachung» obligatorisch ist, erhält sie keine Nothilfe mehr. Sie verliert somit die acht Franken pro Tag und den Platz zum Schlafen. Das ist in mindestens sechs Fällen passiert, die dem Autor bekannt sind.
Nach Arbeit im Gefängnis keine Nothilfe mehr
Vor kurzem habe ich einen Freund getroffen, der diese Massnahme erleben musste. Ich habe ihn gefragt, wie das passiert sei, und er hat geantwortet:
«Die Polizei hat mich direkt vor dem Asylzentrum angehalten. Ich wurde vor den Staatsanwalt geführt, welcher mich zu drei Monaten Gefängnis verurteilt hat. Ich habe meine Strafe im Gefängnis Realta im Kanton Graubünden abgesessen. Als sie mich freiliessen, schickte mich der Sozialverantwortliche des Gefängnisses nach Zürich zum Migrationsamt. Ich tat, wie mir gesagt wurde. Das Migrationsamt verlangte, dass ich auch ins Sozialamt an der Schaffhauserstrasse gehe. Dort haben sie mich warm empfangen. Die Angestellte des Sozialamtes sagte: ‹Schau, ich weiss, dass du Geld hast. Du hast im Gefängnis gearbeitet. Deswegen musst du dich nun allein durchschlagen. Wir können dir weder einen Schlafplatz noch Nothilfe geben.› Sie haben mich mit aller Kraft versenkt. Ich konnte sie nicht mit meinen Rechten konfrontieren.
Danach ging ich zu einem Freund, der ebenfalls im Asylprozess ist. Ich erzählte ihm von meinem Leid. Er wollte mir helfen unter der Bedingung, dass ich spät in der Nacht zu ihm komme und früh morgens wieder verschwinde. Ich blieb mehr als eine Woche bei ihm. Ich kam jeweils gegen Mitternacht und verliess sein Zimmer frühmorgens. In der Nacht musste ich das Bett mit einem anderen Mann teilen.
Als ich nicht mehr konnte, kehrte ich zum Sozialamt zurück, um den Ernst meiner Lage und mein schmerzhaftes Leid zu erklären in der Hoffnung, damit jemanden bewegen zu können. Aber ich fand nur Leute, welche die Menschlichkeit hinter sich gelassen und ihr Mitgefühl verloren hatten – dabei dachte ich doch, genau dies sei die Voraussetzung, um an einem solchen Ort zu arbeiten. Zum zweiten Mal schloss mich die Frau aus. Dieses Mal sagte sie mir, dass sie, falls ich zurückkomme, die Polizei rufen werde. Und ich weiss sehr gut, dass die Polizei nicht auf der Seite der Sans Papiers ist. So ging ich weg. Es war sehr hart.»
Wird eine Person so nicht erst recht kriminell?
Betrachten wir nun diese Situation. Wenn wir die Prozedur des Migrationsamtes logisch zu analysieren versuchen, kommen wir zu folgendem Ergebnis: Wird eine Person, die unter solchem Druck lebt und vom System kriminalisiert wird, nun nicht erst recht kriminell? Mit solchen Strategien provoziert man die Menschen und konstruiert Feinde. Wie kann man von den Sans Papiers etwas Gutes erwarten, nachdem man ihnen solchen Schmerz zugefügt hat? Wissenschaftlich und logisch betrachtet provoziert der Schmerz den Wunsch nach Vergeltung.
Trotz aller Anstrengungen der Asylrechtsorganisationen gibt es immer wieder neue Probleme zu entdecken, die neues Leid verursachen. Schliesslich bleiben die Sans Papiers eine bittere und traurige Realität. Wenn man ihre Geschichte tagtäglichen Leidens aufschreiben würde, wie Victor Hugo es in «Les Misérables» getan hat, wäre es die traurigste und unglücklichste Geschichte überhaupt.
Übersetzung: Martina Läubli
Der Kanton Zürich verweigert einigen abgewiesenen Asylsuchenden die Nothilfe
Das Zürcher Migrationsamt und das Sozialamt haben auf das im Artikel geschilderte Fallbeispiel reagiert. Grundsätzlich habe gemäss Artikel 12 in der Bundesverfassung jeder Mensch das «Recht auf Hilfe in Notlagen», sagt Marc Schmid, Sprecher des Migrationsamtes des Kantons Zürich, unabhängig vom Stand des Asylprozesses.
Für die Auszahlung der Nothilfe und die Zuweisung der Schlafplätze ist das Sozialamt zuständig. Mediensprecher Urs Grob räumt ein, dass es «tatsächlich schon Fälle von illegal in der Schweiz anwesenden Personen gegeben hat, die nach der Entlassung aus der Haft über teilweise vierstellige Geldbeträge (erwirtschaftet aus dem Entgelt für im Gefängnis verrichtete Arbeiten) verfügten, und darum keinen Anspruch auf Nothilfe geltend machen konnten.» Doch auch wenn die betroffenen Personen nach der Entlassung aus dem Gefängnis ein Entgelt haben, so haben sie trotzdem keinen Platz zum Schlafen. (Martina Läubli)