11. Juni 2015 Michael Schmitz

Wie sich schweizerische Kolonialisten in Algerien bereicherten

Über hundert Jahre lang betrieb eine Genfer Gesellschaft in Sétif/Algerien ein profitables Kolonialgeschäft. Es beruhte auf Usurpation von Land. Wenn heute jedoch Algerier_innen in die Schweiz kommen, nicht um Land zu beschlagnahmen, sondern um Arbeit zu suchen, gilt das illegal.

Mit 37 000 Mann landet am 14. Juni 1830 die französische Armee an der algerischen Küste,um das Land zu erobern und zu kolonisieren. Schon bald fallen wichtige Städte an die Invasoren, und der Aufbau einer Kolonialverwaltung, die Besiedlung und die Ausbeutung von Mensch und Natur beginnt. Es wird noch fast hundert Jahre dauern, bis der Widerstand der Einheimischen gebrochen ist.

Während die französische Armee Krieg führt und Aufstände niederschlägt, sehen sich unter anderen auch Schweizer Geschäftsleute nach Profitmöglichkeiten um. 1853 gründen Genfer Geschäftsleute unter der Führung von François-Auguste Sautter die Compagnie genevoise des Colonies suisses de Sétif und erhalten per Dekret des französischen Kaisers Napoleon III 20 000 Hektaren Land in der Nähe von Sétif. Dies entspricht etwa achtzig Prozent der Fläche des Kantons Genf. Damit wird die Compagnie zu einem der grössten privaten Grundbesitzer in Algerien. Der Historiker Claude Lützelschwab hat die Geschichte dieser schweizerischen Kolonialunternehmung untersucht. Auf seine Forschung stützt sich dieser Artikel.

Massive Eingriffe in die lokale Wirtschaft und Gesellschaft

Ein erstes Projekt der Compagnie, das auch eine Besiedlung durch Schweizer Emigrant_innen vorsah,1 scheitert bald an den Schwierigkeiten bei der Rekrutierung und an finanziellen Problemen. Bei der Rekrutierung ist übrigens auch der spätere Gründer des Roten Kreuzes, Henri Dunant, als Agent beteiligt. Einem zweiten Projekt ist einige Jahre später mehr Erfolg beschieden. Ein Teil der nun 15 000 Hektaren wird vermietet, ein anderer an Einheimische und Europäer_innen verpachtet.

Das Kolonialisierungsprojekt der Compagnie genevoise greift massiv in die lokale Realität ein. Gemäss Lützelschwab löst sich das traditionelle System auf, die indigene Wirtschaft und Gesellschaft werden durcheinandergebracht und der ansässige Stamm wird enteignet. Ein Teil von dessen Mitgliedern darf als Pächter_innen auf dem angestammten Land bleiben. Der andere Teil wird umgesiedelt. Die Compagnie beschäftigt zur Aufsicht indigene Führer und will sie dadurch im Glauben wiegen ihre Autorität behalten zu können. Gleichzeitig werden sie aber auf den Status von Angestellten reduziert. Es kommt vor, dass Stammesführer wegen der Unterdrückung durch die Compagnie Sétif verlassen wollen, die Mitglieder es aber  vorziehen zu bleiben. So bringt die Politik der Schweizer Firma Stammesführer und -mitglieder gegeneinander auf. Allgemein leidet die Solidarität innerhalb des Stammes.

Profitstreben ohne moralische Skrupel

Das zweite Projekt der Compagnie ist profitabel. Direktoren – meistens aus der Schweiz – treiben die landwirtschaftliche Modernisierung voran. Die Zahl der einheimischen Pächter_innen nimmt zu und damit steigen auch deren Lasten. Vierzig Prozent des Ertrags müssen an die Schweizer Besitzer abgegeben werden. Jahr für Jahr fliesst der Profit, den die Algerier_innen erarbeiten, in die Schweiz nach Genf – bis ins Jahr 1956, als die Compagnie von der  französischen Regierung bei einem Versuch, die Aufständischen der Unabhängigkeitsbewegung zu beruhigen, enteignet wird. Mit dieser Entscheidung ist die Firma jedoch durchaus zufrieden, erlaubt sie ihr doch, eine Entschädigung einzukassieren und lichtscheu wie Schweizer Banker «die Bühne zu verlassen, bevor die Situation noch schlechter wird», wie es in einem Artikel des Genfer Unimagazins campus heisst.

Lützelschwab kommentiert gleichenorts: «Die Geschichte der Compagnie genevoise mag uns wenig glorreich erscheinen. Sie ist aber im Kontext der Zeit absolut normal. François-Auguste Sautter und seine Partner sind Geschäfts leute, die sich in eine koloniale Unternehmung  stürzen, weil sie dort Entwicklungs- und Profitmöglichkeiten sehen. In dieser Hinsicht gleichen diese Kapitalisten ihren Kolleg_innen von heute wie zwei Wassertropfen. Das ethische Problem existiert nicht wirklich. Sie beschreiten den Weg, den die europäischen Kolonialmächte gebahnt haben.»

1 Anm. von Dalila Ghodbane: Durch europäische Siedler_innen wollte Frankreich in die Demographie der Kolonie eingreifen, deshalb wurde der Compagnie diese Auflage gemacht.

Kommentar zum Artikel:

Legalität ist eine Frage der Macht

Quellen:

Mehr lesen:

Claude Lützelschwab, «La Compagnie genevoise des Colonies suisses de Sétif (1853-1956). Un cas de colonisation privée en Algérie», Bern 2006.


Sekundärimperialismus

Der Schweizer Staat hat nie Kolonien besessen. Aber nicht nur in Algerien, auch in anderen af- rikanischen oder asiatischen Kolonien nutzten Schweizer Firmen die Möglichkeiten, die sich durch die militärische Expansion der Koloni- almächte ergeben. Beispiele sind etwa die Ge- brüder Volkart oder die Basler Missions-Handels-Gesellschaft. Vorher waren Schweizer Geschäftsleute auch in den Sklavenhandel involviert. Dieses opportunistische Ausnützen von Profitchancen auf Kosten der kolonisier- ten Gesellschaften nennt man in der Forschung auch «Sekundärimperialismus». 

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