10. Mai 2023 Hüseyin Edemir

Schweizerische Fragen – Türkische Antworten

Die häufigste Frage, die ich der Schweiz gestellt bekomme, ist jene nach dem Heimatland. An einem schönen Frühlingstag beschloss ich, einmal anders zu antworten.

Schon in meiner Zeit in Amerika fing ich an, eigene Antworten auf dumme amerikanische Fragen zu formulieren. Als ich in die Schweiz kam, erweckte meine erste Begegnung mit einer Schweizerin diese alte Gewohnheit. Ich beschloss, schweizerische Fragen zu sammeln und darauf meine türkischen Antworten zu geben.


Als erstes komme ich zu den Fragen, die ich in der Schweiz am häufigsten gestellt bekomme. Dazu gehören immer jene nach dem Heimatland und dann nach dem Grund, weshalb ich in der Schweiz lebe. Wenn Ausländer:innen eine dieser Fragen zufriedenstellend beantworten, stellen Schweizer:innen daraufhin weitere. Um euch meine türkischen Antworten auf die schweizerischen Fragen näherzubringen, erzähle ich euch von meinem Treffen mit Andreas Glarner und Roger Köppel.


Es war ein wunderschöner Frühlingstag. Ich spazierte friedlich der Limmat entlang und ruhte  mich schliesslich auf einer Bank aus. Als ich so dasass und den Vögeln beim Zwitschern zuhörte, näherten sich mir zwei Männer und setzten sich neben mich auf die Bank. Sie versuchten sogar, mich von der Bank zu stossen. Ich wehrte mich und erklärte ihnen, dass ich hierbleiben und die Sonne weiter geniessen wolle. Nach einem kurzen Streit einigten wir uns, und die zwei Männer erkundigten sich nach meinem Namen:


«Mein Name ist Peter.» antwortete ich unbeeindruckt und fragte höflich nach ihren Namen.


Einer der Bankeindringlinge stellte sich misstrauisch vor: «Ich bin Roger Köppel und er ist Andreas Glarner, mein bester Kollege. Wir sind von der besten Partei des besten Volkes, also der Schweiz!»


Peter: «Es freut mich sehr, euch kennenzulernen!»


Andreas Glarner: «Herr Peter, woher kommen Sie denn?»


Peter: «Ich komme aus meiner Wohnung :)»


Andreas Glarner: «Neeein! Ich meine Ihr Heimatland.»


Peter: «Aaah, ich verstehe! Mein Heimatland ist die Schweiz.»


Andreas Glarner: «Aber Sie sehen ein bisschen dunkel aus.»


Peter: «Das ist wegen eines Fehlers meiner Eltern. Als ich ein Kind war, fuhren meine Eltern nach Italien in die Ferien. Am dritten Tag  gingen sie in die Disco, um Spass zu haben, und vergassen mich am Strand von Sizilien. Durch die heisse Sonne wurde ich schnell dunkel. Ich Armer! Verstehen Sie, Genosse Glarner?»


Roger Köppel: «Aber ihr Akzent erscheint mir doch sehr türkisch!»


Peter: «Das liegt an einem zweiten Fehler meiner Eltern. Sie vergassen mich noch ein weiteres Mal. Dieses Mal jedoch in der Türkei. Ich musste mehr als ein Jahr dort leben. Deswegen habe ich jetzt diesen blöden Akzent.»


Andreas Glarner: «Oh.. das tut mir leid!»


Peter: «Danke, ich leide sehr darunter.»


Etwas eingeschüchtert zieht sich der überaus nette Glarner zurück und der äusserst respektvolle Roger Köppel beginnt zu fragen: «Weshalb bist du in die Schweiz gekommen?»


Peter: «Liebster Herr Köpek, bitte stellen Sie mir diese Frage nicht! Es geht nämlich um eine Liebesgeschichte. Ich war in meinem Privatjet unterwegs und flog von der Türkei über die Balkanländer. Als ich über der Schweiz war, ging meinem Jet der Treibstoff aus. Wegen dieser Notfallsituation mussten wir in Zürich landen. Am Flughafen verliebte ich mich in eine Polizistin. Sie war total hübsch. Sie hatte jedoch eine so grosse Liebe für mich, dass sie mich gleich ins Gefängnis gesperrt hat…»


Wahrscheinlich hat ihn meine Geschichte nicht überzeugen können, weshalb er hartnäckig weiter fragte.
Roger Köppel: «Wieso, weshalb, warum, aus welchem Grund bist du hier?»


Peter: «Extrem geehrter Herr Köpek und alle anderen geliebten Schweizer, diese Fragen scheinen euch sehr zu beschäftigen. Weil ihr immer so schön hartnäckig nachfragt und es anscheinend unbedingt wissen müsst, bin ich jetzt gezwungen, meine geheime Mission preiszugeben. Eigentlich hättet ihr das niemals erfahren sollen, aber na gut, ihr habt es nicht anders gewollt.
Als ich in der Türkei war, wollte ich die Schweiz auf einer Landkarte suchen. Sie war aber so klein, dass ich sie ohne Lupe nicht finden konnte….»


Leicht verunsichert flüstert Herr Köppel seinem Kumpel Glarner ins Ohr: «Sind wir wirklich so klein?»


Glarner: «Ja, schon»


Peter: «……Daraufhin habe ich der Schweizer Regierung einen Vorschlag gemacht: «Lieber Bundesrat, die Schweiz ist viel zu klein. Wir könnten und sollten sie vergrössern. Zuerst sollten wir Lichtenstein besetzen, um unser Militär zu trainieren. Danach können wir ganz Europa nach und nach einnehmen, ausser Italien und die Türkei, diese zwei sind sehr problematisch. Daraufhin wurde ich von der Schweizer Regierung eingeladen, und als ersten Schritt unseres Plans kauften wir letztes Jahr 36 Kampfjets.»


Nach einem kurzen Schock fassten sich die zwei Herren wieder und versuchten, mit einer neuen Frage das Thema zu wechseln:


Roger Köppel: «Warum arbeitest du nicht?»


Peter: «Ich arbeite schon.»


Roger Köppel: «Aber man sagt, die Ausländer arbeiten nicht.»

Peter: «Welcher Mann sagt das?»


Roger Köppel: «Ich meine nicht einen Mann. Ich meine mit man eher allgemein.»


Peter: «Dieser allgemeine Mann ist wirklich sehr dumm.»


Der sonst so wortgewandte Köppel schaute mich sehr irritiert an und versuchte dann, das Thema erneut zu wechseln.
Roger Köppel: «Ich habe letzthin einen Artikel über Kühlschränke in der Türkei gelesen. Stimmt es, dass ihr in der Türkei keine Kühlschränke hattet, bevor Erdogan an die Macht gekommen ist?»


Peter: «Leider gibt es in der Türkei nur Kleiderschränke, aber wir benutzen diese als Kühlschränke.»


Roger Köppel: «Wie soll das denn funktionieren?»


Peter: «Das funktioniert extrem gut, lieber Köpek. Da die Türkei sehr warm ist und fast keinen Strom hat, haben wir ein Luftsystem mit einem grossen Rohr von Sibirien bis in die Türkei gebaut. Durch die Kälte aus dem System können wir unsere Kleiderschränke als Kühlschränke verwenden. Ab und zu kommt es vor, dass man Tomatensauce am Pullover hat oder dass ein paar Spaghetti an der Unterwäsche kleben, aber daran gewöhnt man sich mit der Zeit.»


Roger Köppel wendet sich daraufhin wieder Glarner zu und flüstert ihm ins Ohr:


Köppel: «Dieser Peter-Fake geht mir tierisch auf die Nerven.»


Glarner zu mir: «Wann gehst du wieder in dein Heimatland zurück?»


Peter: «Ich denke es wird nicht lange dauern. Weil ich sehr gerne Avocados esse, pflanze ich jedes Jahr einen Avocadobaum auf dem Matterhorn. Wenn ich die ersten Früchte pflücken kann, werde ich umgehend  zurückgehen.»


Andreas Glarner: «Aber auf dem Matterhorn ist es sehr kalt. Kann dort überhaupt ein Avocadobaum wachsen?»


Peter: «Sie haben völlig Recht, Genosse Glarner! Natürlich nicht, deswegen pflanze ich ja auch jedes Jahr einen neuen Baum.»


Andreas Glarner: «Das ist doch Blödsinn.»


Peter: «Natürlich erzähle ich euch nur Blödsinn, aber es ist immer noch lange nicht so blöd wie eure Beste Partei des besten Volkes, also der Schweiz!»


Mit diesen Worten stand ich auf und wollte mich von den Männern verabschieden:


Peter: «Liebe Genossen, ich muss jetzt leider gehen. Es hat mich gefreut lieber Herr Glarner und Herr Köpek.»


Köppel: «Hören Sie endlich auf mit diesem Köpek. Mein Name ist Köppel, Roger Köppel!»


Peter: «Tut mir leid, ich dachte es bedeutet das gleiche wie Köpek auf Türkisch und jetzt wo ich Sie ein bisschen kennengelernt habe, finde ich, der Name passt perfekt zu Ihnen.»


«Ich hasse alle Genossen», rief mir Glarner noch hinterher, als ich mich schliesslich auf den Weg machte.

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