24. Februar 2014 Maria Papamichou

Solidarität als Waffe gegen Armut, Ausgrenzung und Rassismus

Mit dem Direktverkauf von Lebensmitteln werden die Zwischenhändler umgangen. (Foto: Stelios Stefanou)

Zur Bekämpfung von Armut, Ausgrenzung und Rassismus ist in Griechenland eine Vielzahl sozialer Selbstorganisationen entstanden. Die Folgen der Finanzkrise zwingen die Griech_innen dazu, solidarisch zu handeln und auf die entstandenen Mängel bei Bildung, Gesundheitsversorgung, sozialen Einrichtungen und im Alltag zu reagieren.

In fast jedem Supermarkt ist seit über zwei Jahren eine Ecke reserviert, wo die Kunden Lebensmittel für sozial Schwache ablegen können. Sei es eine Packung Reis, Nudeln, Milch, Zahnpasta: alles kann gebraucht werden. Einmal in der Woche kommt eine Person von der Solidaritätsinitiative vorbei und bringt die gespendeten Waren zu den Räumen der Selbstorganisation. Von da aus werden sie an hilfsbedürftige Familien und Personen verteilt.

Solche Selbstorganisationen sind keine Ausnahmen. Nach der Occupy-Bewegung  auf dem Syntagma-Platz in Athen im Jahr 2011 ist eine erstaunlich effektive solidarische Vernetzung entstanden. An vielen Orten wurden soziale Apotheken und Praxen zur medizinischen Versorgung von Arbeitslosen und sozial Schwachen gegründet. Suppenküchen und Kleiderspenden werden organisiert oder landwirtschaftliche Produkte direkt von den Bäuer_innen an die Konsument_innen verkauft. Dies sind nur ein paar Beispiele solidarischer Aktionen.

Eine neuartige Solidaritäts-Kultur

Die beliebten Slogans «Niemand wird in der Krise im Stich gelassen» und «Solidarität ist unsere Waffe» sind in Griechenland derzeit keine leeren Worte. Sie werden in Praxis umgesetzt. Zahlreiche Freiwillige jeden Alters, mit unterschiedlichen politischen Weltanschauungen und Berufen sind aktiv. Meist sind es Anhänger_innen der linken Partei SYRIZA, der linksradikalen ANTARSYA oder Anarchist_innen. SYRIZA – die grösste Oppositionspartei – hat die Solidaritäts-Vernetzung zu einer politischen Priorität der Partei erklärt. In sehr vielen Fällen sind auch Bürger_innen beteiligt, die bis jetzt keine linkspolitische Orientierung hatten, oder junge Leute, die eine parteiunabhängige Haltung haben, ohne unpolitisch zu sein. Solche Aktionen waren den Griech_innen bislang fremd. Die meisten Selbstorganisationen führen regelmässig Vollversammlungen durch, die viele Mitbeteiligte mit Selbstverwaltungsprozessen bekannt machen. Dies könnte zum Entstehen eines neuen kollektiven politischen Ethos führen.

Die Aktionen von Selbstorganisationen, Kollektiven und Bürgerinitiativen verlaufen parallel zu denen von Nicht-Regierungsorganisationen, der Kirche und weiteren Wohltätigkeitsorganisationen, die auch vor der Krise aktiv waren. Erstere unterscheiden sich jedoch wesentlich von den zweiten. Sie sind von der Basis, den Bürger_innen selbst, initiiert und von keinen staatlichen Mitteln oder EU-Fonds finanziert. Sie besitzen keine hierarchische Organisationsstruktur und verstehen Solidarität nicht als ethische oder religiöse Wohltat, sondern als politische Aktion. Sie existieren ergänzend und unterstützend zur Arbeiter_innenbewegung.

Der Arbeitsmarkt in Ohnmacht 

Die wirtschaftliche und soziale Krise in Griechenland ist inzwischen so tief, dass nicht nur Familien und Personen, die schon länger sozial ausgegrenzt waren, hilfsbedürftig sind. Die Krise hat auch die Mittelklasse erreicht. Fast jede_r Vierte ist arbeitslos, über 60 Prozent der jungen Leute im Alter von 18 bis 30 Jahren haben nie gearbeitet, bleiben weiterhin arbeitslos und haben unter diesen Umständen keine Arbeitsperspektiven. Viele junge Fachkräfte sind schon nach Europa, in die USA und nach Australien ausgewandert. Das Land erlebt eine neue Phase seiner Migrationsgeschichte. Andere arbeiten unter «flexiblen Arbeitsbedingungen», welche die Menschenwürde verletzen. Mit Recht spricht man von einem «Mittelalter im Arbeitsmarkt»: Tausende Selbständige und Unternehmer_innen mussten ihre Erwerbstätigkeit aufgeben. Ökonomisch bewegt sich gar nichts. Die Steuern steigen, die Hoffnung sinkt. Die Zahl der Selbstmorde ist in den letzten zwei Jahren erschreckend gestiegen.

Die griechische Solidaritätsbewegung ist parallel zur Finanzkrise aufgekommen und widerspiegelt eine qualitative Veränderung der Gesellschaft: Aus der Konsumgesellschaft der letzten drei Jahrzehnte entsteht eine Solidaritätsgesellschaft. Die Art und Weise, wie sich diese Solidarität ausdrückt, ist kein spezifisch griechisches Phänomen. Der Geist der Selbstorganisation in Krisenzeiten, wie man ihn von Argentinien und Lateinamerika kennt, wirkte sicherlich inspirierend. Ähnlichkeiten sind auch bei Bewegungen des Nahen Ostens, der Türkei oder anderer EU-Südländer wie Spanien und Italien zu finden – und überall, wo eine Gesellschaft in einer Krise steckt. Nicht jede Krise ist gleich, alle haben jedoch ähnliche Wurzeln (ein kapitalistisches System), die gleichen Opfer (die nicht privilegierten Menschen) und denselben Zweck (Gewinn und Macht für wenige um jeden Preis). Solidarität kann demgegenüber eine der Waffen sein.

Solidarität gegen Rassismus

Nicht unbeachtet bleiben sollte die Tatsache, dass die faschistische Partei «Goldene Morgenröte» sogenannte «solidarische Aktionen nur für Griechen» durchführt. Solidarität wird dabei ebenfalls als Waffe benutzt, aber zu rassistischen und faschistischen Zwecken. Deshalb ist es von grosser Bedeutung, dass die entstandenen antirassistischen und antifaschistischen ebenso wie alle oben beschriebenen Initiativen weiterhin aktiv bleiben: Initiativen, die sich an alle richten, auch an Flüchtlinge und Migrant_innen, deren soziale Lage in Griechenland oft die Menschenrechte verletzt.

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