2. November 2016 Katharina Morello

Tannzapfensuche

Bild: pixabay.com

Hasan quält sich: Nun soll er tatsächlich im Wald Tannzapfen suchen. Für den Elternabend seines Sohnes. Was ist das für eine Welt?

Eine Kolumne über die subtilen Zwänge der Integration.

Der Wald ist Scheisse! Zu viele Bäume, überall, und nicht zu sehen, wer oder was sich dahinter verbirgt. Hasan hatte einst Wochen in Wäldern gelebt; während des Kriegs in seiner alten Heimat. Damals hat er den Wald hassen gelernt. Freiwillig wäre er nicht hier. Doch da kam kürzlich ein Brief von der Schule. Eine Einladung zum Elternabend, so viel war klar. Nicht aber der nachstehende Satz: „Bringen Sie Waldsachen mit, wir basteln Advents-Dekoration.“ Hasan fragte deswegen einen Freund um Rat. 

„Das bedeutet, dass du Tannzapfen sammeln musst“, sagte der Mann, selbst ein Migrant, jedoch um Jahre länger in der Schweiz als Hasan. Tannzapfen?! Hasan konnte es kaum glauben. Er sei doch ein Mann, brauste er auf, kein Kind, das man zum Spielen in den Wald schickt! Wo bleibt die Würde? Doch der Kollege bestand darauf: „Elternabende sind wichtig. Und wenn du mit leeren Händen ankommst, wird die Lehrerin denken, du bist nicht interessiert, was schlecht für deinen Sohn wäre!“

Nur deshalb stapft Hasan jetzt durch den Wald am Altberg, wohin es ihn zufällig verschlagen hat. Seine Kinder hatten abgelehnt, ihn zu begleiten. Auch die Frau, sie fürchtet sich vor dem Wald. So ist er allein mit dem Auto auf Nebenstrassen aus der Stadt hinaus gefahren und dann kreuz und quer durch die Dörfer, bis er endlich Wald fand und auch ein Platz, wo man parkieren durfte. Doch zu seiner Bestürzung sind an diesem Nachmittag im Spätherbst zahlreiche Leute unterwegs und so muss er weit gehen, sehr weit – über Wiesen und dann hinauf auf den waldigen Hügelzug mit dem Turm. Ständig schaut Hasan sich um, prüft, ob kein Zeuge in der Nähe ist und begegnet doch immer wieder einem Spaziergänger, mal mit mal ohne Hund. Es dämmert schon, bis er sich endlich unter ein paar Rottannen zu bücken wagt, hastig etwas vom Boden aufklaubt und in der Manteltasche verschwinden lässt, um dann im Sturmschritt davon zu eilen. Zum Glück hat ihn keiner gesehen! Man ruft dieser Tage die Polizei aus geringerem Anlass, als wenn sich einer auf einsamen Waldwegen verdächtig macht. Welche Pein hätte es Hasan bereitet, seinen Fund erklären zu müssen. Tannzapfen! Mein Gott. 

Siebenfach wickelt er sie daheim in Zeitungspapier und verschnürt das Paket obendrein. Bringt es anderntags unter dem Mantel versteckt mit an den Elternabend. Doch wie er im Klassenraum des Sohnes andere Väter und Mütter sorgfältig buntes Laub, Stechpalmenzweige und Tannenreisig ausbreiten sieht, schiebt er verschämt seine Zapfen hinzu. Da – ergiesst sich eine Welle des Wohlwollens über ihn! Freundliche Blicke, Nicken von allen Seiten. Auch die Lehrerin lächelt. Hasan senkt den Kopf. Niemand der Anwesenden spürt in diesem Moment seine tiefe Erschütterung.

„Was für eine Welt!“, erzählt er später seinem Freund. „Wer versteht das? Einst habe ich mit dem Gewehr in der Hand für ein freies Kosova gekämpft und jetzt spiele ich mit Tannzapfen.“ – „Du integrierst dich hier, mein Lieber“, antwortet der andere und klopft ihm auf die Schulter. „Du integrierst dich.“

Diese Kolumne ist zuerst auf der persönlichen Homepage von Katharina Morello erschienen.

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