22. Juni 2017 Redaktionskollektiv

Über die schmerzhafte Erfahrung des Racial Profiling

Racial Profiling ist – entgegen der Behauptungen der öffentlichen Ämter – in Zürich und Umgebung ein riesiges Thema. Das zeigen die Erlebnisse von zahlreichen Kursteilnehmer*innen der ASZ. Im Rahmen einer Projektwoche gegen Racial Profiling im Herbst 2016 haben sie diese aufgeschrieben. Zusammengetragen von Rosa la Manishe.

Der Tag beginnt sehr schmerzhaft. 
Beim Sozialamt ist es sehr schwierig, wenn man sich nicht ganz präzise ausdrücken kann. Ich werde immer wieder mit Racial Profiling konfrontiert. Immer wieder, an allen Orten. Die erste Angestellte des Sozialamts spricht mit meinem Kollegen und mir in unfreundlichem Ton. Ich habe trotz meiner B1 Deutschkenntnisse nichts verstanden. Sie schickt mich zu einer anderen Person. Die zweite Person sagt zu uns nur: «Wartet vor der Tür!» Die dritte Person streckt kurz ihren Kopf aus der Tür, sagt etwas Unverständliches und drückt uns ein Formular in die Hände. Das war's. Es tut weh zu sehen,  dass Schweizer*innen besser und netter behandelt werden als ich. Ich weiss nicht, wie ich diese Situation beschreiben soll, aber es ist eine von vielen schmerzhaften Erfahrungen in der Schweiz.


Nach dem ersten strengen Semester meiner Ausbildung und als Abschluss einer Ferienwoche wollte ich, wie viele Schweizer*innen auch, an einem Samstagabend elegant gekleidet in den Ausgang, um mich mit Freund*innen zu treffen. Nach dem Ausgang um 2:18 Uhr bin ich am Hauptbahnhof in Zürich angekommen. Ich musste noch etwa eine halbe Stunde warten, bis mein Nachtbus kam. Da es draussen kalt war, bin ich in einer Ecke gestanden, um mich ein bisschen vor dem Wind zu schützen. Etwa eine halbe Stunde später kamen zwei zivile Polizisten auf mich zu und wollten grundlos eine Kontrolle bei mir durchführen. Ich erlebte das nicht zum ersten Mal, also fragte ich sie, warum sie ausgerechnet mich kontrollieren. Die Antwort von einem der Beamten kam nicht überraschend, sehr unfreundlich und mit einem abschätzigen Unterton: «Weil du so aussiehst!» Ich habe darauf sofort reagiert und angesprochen, dass es doch immer derselbe Grund sei und dass ich es als unmenschlich empfinde, dass mich die Polizei in der Schweiz mehrfach nur wegen meines Äusseren kontrolliert hat und dass das für mich Rassismus bedeutet.

Nachdem sie mich also so schlecht behandelt und verachtend mit mir gesprochen hatten, haben sie bemerkt, dass ich mir über eine Anzeige Gedanken mache. Also lenkten sie das Thema unauffällig in eine andere Richtung und sagten zu mir, dass sie jemanden suchen, der so aussieht wie ich. Also habe ich sie nach dem Foto des Gesuchten gefragt, das sie mir natürlich nicht zeigen wollten. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sie nach niemandem spezifisch gesucht haben, der gerade mir ähnelt. Die Kontrolle war durch und durch eine reine Schikane. Haben Polizist*innen für solchen Umgang keinerlei soziale und interkulturelle Kompetenzen vorzuweisen und gibt es keine Schulungen dafür, um derart unmenschlichen Umgang einzudämmen? Dieses Ereignis hat bei mir nicht nur emotionale Verletzungen hinterlassen, es gibt mir auch ein Gefühl von Unsicherheit und ich bringe mit der Polizei ein Symbolbild der Angst und Demütigung in Verbindung. Ich habe inzwischen oft Alpträume von den polizeilichen Demütigungen, weil die psychischen und körperlichen Wirkungen einer Polizeikontrolle stark und psychisch sind. Das Traurige daran ist, dass sie dies systematisch und absichtlich so tun.


Ich wurde früher nie kontrolliert. 
Ich war letzte Woche in Bülach, das verlief aber nicht glücklich. Ich habe in Bülach etwas gekauft, ich war nicht allein. Ich stand mit Schweizer*innen in einer Schlange. Dann sagte mir die Frau: «Gib mir deine Tasche!» Ich war ganz hinten und fragte: «Wieso?» Aber sie hörte nicht zu und sagte nur: «Gib mir deinen Rucksack.» Ich gab ihn ihr, sie kontrollierte alles und gab ihn mir zurück. Die anderen Leute haben alles gesehen. Ich wurde wütend, weil diese Frau nur mich kontrolliert hat. Sie war rassistisch. Mit Rassismus leben wir nicht in Frieden. Wir möchten frei leben und nicht kontrolliert werden. 


Erst im Jahr 2009 entschied der UNO-Menschenrechtsausschuss, dass Polizeikontrollen aufgrund der Hautfarbe illegal sind. Die Polizei sollte Menschen nicht auf Grundlage der Hautfarbe kontrollieren, sondern nur, wenn sie gültige, vernünftige und bestätigende Beweise haben, die zeigen, was er oder sie Unrechtmässiges getan hat. Im März dieses Jahres (2016) erklärte eine Gruppe von Wissenschaftler*innen, Racial Profiling verweise auf tief sitzenden Rassismus in der Schweizer Gesellschaft. Auch Schweizer*innen sollten die humanitären Werte gleichermassen berücksichtigen. 


Als ich hierherkam, war meine Meinung eine andere. Ich dachte in Bezug auf die Schweiz nicht an Rassismus und viele Kontrollen. Aber es ist nicht so. 


Vor einigen Jahren erreichte ich nach einer langen Nacht den Bahnhof Uster. Total müde schlief ich auf der Bank ein. Nach einigen Stunden wurde ich von einem Gespräch geweckt. Zwei Polizisten untersuchten einen älteren Herrn. Er hatte einen Anzug an und war schwarz. Sie hielten seinen Schweizerpass in der Hand. Ich hörte, wie er sich in seinem besten Schweizerdeutsch zu rechtfertigen versuchte. Die Polizisten bedankten sich und gingen. Zurück blieb ein beschämter Mann. Ich fragte mich, warum nicht ich – eine betrunkene, junge Frau – von der Polizei kontrolliert wurde. Ich sah ihnen wohl zu europäisch aus. 


Ich bin 29 Jahre alt und ich bin noch nie von der Polizei kontrolliert worden. Meine Haut ist weiss und ich glaube, dass das diese Situation erklärt. Meine Freunde, die ein anderes Aussehen haben, werden oft kontrolliert. Wenn sie etwas kaufen möchten, wissen sie, dass ihnen jemand folgen kann. Sie fühlen sich beobachtet. Es ist, als würden sie weniger Freiheit haben. 


Racial Profiling ist die einfachste Art, Menschen in «Rassen» zu unterteilen und sie somit aufgrund einer Gegebenheit in eine Schublade zu stecken. Racial Profiling passiert laut und stumm, schlimm ist beides. Ein Teilnehmer der Autonomen Schule sagte mir, er sitze im Zug immer alleine in einem Viererabteil. Er denkt, das ist so, weil er schwarz ist. 
Racial Profiling empfinde ich als eine feige und unfaire Art, Leute in der Öffentlichkeit blosszustellen oder ihnen ein unangenehmes Gefühl zu geben. Racial Profiling muss gestoppt werden, wir alle müssen darüber sprechen, es thematisieren, laut werden.  


Jeden Tag sehe ich mich im Supermarkt um und stecke meine Orange oder ein Tofu-Plätzchen in die Jackentasche. Das kann ich nur, weil ich weiss bin.

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