3. August 2016 Emel und Baran Yildirim

Unsere Rechte kennen und nicht abergläubisch werden

Emel und Baran Yildirim sind vor einem Jahr in die Schweiz gekommen und mittlerweile als politische Flüchtlinge anerkannt. Sie erzählen von ihren Erfahrungen im Asylsystem Schweiz, und warum es wichtig ist, Widerstand zu leisten.

Wir sind in der Türkei geboren und auf­gewachsen. Dort ist jede oppositionelle politische Aktivität gefährlich. Du wirst ins Gefängnis gesteckt oder hast zumin­dest einen Gerichtsprozess am Hals. Du verlierst deinen Job oder wirst vom Stu­dium verbannt. Du kannst auch getötet werden. Doch trotz all dieser Risiken und des enormen Drucks gibt es bei uns eine starke Widerstandskultur. Vor einigen Jahren entschieden wir uns, Teil des Wi­derstands zu werden. Wir erlebten Fest­nahmen und Polizeigewalt und mussten vor Gericht. Wir erhielten eine lebens­längliche Strafe - und entschieden uns, ins Exil zu gehen. In der Türkei laufen die Prozesse oft willkürlich ab, darum muss­ten wir sehr schnell flüchten. Aufgrund persönlicher Verbindungen und Recher­chen im Internet wählten wir die Schweiz als Exilland.

Schweizerische «Willkommenskultur»

Nach unserer Ankunft gingen wir nach Kreuzlingen zum Empfangszentrum. Es war der erste Kontakt mit der Schweiz. Das Willkommensritual war alles andere als nett. Wir bekamen die Geringschät­zung direkt zu spüren und die Angestell­ten machten uns klar, wer hier die Macht hat. Sie sagten uns: «Ihr seid hierher ge­kommen, jetzt müsst ihr euch unseren Regeln anpassen und dürft nicht aufbe­gehren.»

Im Empfangszentrum lebst du nach den Launen des Security-Personals. Wenn die Securities guter Laune sind, ist es ok. Haben sie schlechte Laune, kannst du nicht viel machen, denn sie werden von niemandem kontrolliert. Im Zentrum kannst du sehr oft willkürliche und ras­sistische Behandlungen beobachten. Das Unerträglichste im ersten Jahr waren für uns die erlebten Erniedrigungen. Bei­spielsweise war es in einem Asylheim verboten, Kaugummi zu kauen. Abgese­hen davon, dass wir gar keine Lust auf Kaugummi hatten, war es einfach das dümmste Verbot, das wir je gesehen haben. Bei jedem Eintritt ins Zentrum wollten die Securities unsere Münder kontrollie­ren. Drei Monate waren wir in Kreuzlin­gen, danach zwei Monate in Winterthur und anschliessend wurden wir nach Richterswil geschickt. In all den Camps trafen wir die gleiche Mentalität an, aber es gibt auch Ausnahmen. Wir haben auch Betreuer*innen erlebt, die zumindest Menschlichkeit gezeigt haben. Wir hoffen, dass es noch mehr solcher Leute gibt.

Dankbarkeit für Zwangsarbeit

Wir dachten, das politische Asyl habe in der Schweiz eine politische Bedeutung und wir würden wenigstens mit Respekt behandelt. Aber unsere einjährige Praxis hat uns etwas anderes gezeigt. Einige Betreuer*innen waren sogar schlimmer, als wir es in türkischen Gefängnissen er­lebt haben. Natürlich sollen alle Respekt erhalten, nicht nur die, die gemäss Asyl­gesetz als politische Flüchtlinge gelten. Auch Menschen, die aufgrund von Ar­beitslosigkeit und Bürgerkriegen flüchten, sollen politisch und rechtlich anerkannt sein. Deswegen wollen wir keinen Unter­schied nach Fluchtgründen machen. Egal, warum wir hier sind, wir werden hier alle als Parasiten betrachtet, die vom Schwei­zer Reichtum zehren wollen.

Hier wird gerne und oft von Integration gesprochen. In der Praxis haben wir davon nicht viel gesehen. Als wir uns für eine bessere Wohnsituation in unserem Heim eingesetzt haben und so das Recht auf Wohnen geltend machen wollten, sagte uns der Betreuer, das einzige Recht, das man mit einem N-Ausweis habe, sei, in sein Land zurückzukehren. Dieser Satz fasst die Beziehung zusammen, welche die Gemeinde zu den Flüchtlingen pflegt.

Es gibt nicht viele Möglichkeiten, auf le­galem Weg sein eigenes Geld zu verdienen. Für ein Taschengeld von Fr. 7.- pro Stunde haben wir die Asylheime geputzt, Trans­porte für die Gemeinde erledigt, in der Altersheimküche ausgeholfen oder beim Aufbau eines Dorffestes mitgewirkt. Wir brauchten das Geld und suchten nach Möglichkeiten, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Darum akzeptierten wir die ungerechte Bezahlung. Solche Arbeitseinsätze gelten als freiwillig. Trotzdem versuchten uns die Betreu­er*innen zu zwingen, wenn wir nicht ar­beiten wollten. Sie versuchten uns ein schlechtes Gewissen machen, indem sie sagten: «Wir geben euch einen Platz zum Schlafen und etwas zu essen, also solltet ihr auch arbeiten.»

Zusammen einen Boden schaffen

Vielen Flüchtlingen fehlt die Praxis, für ihre Rechte zu kämpfen. Und darum kom­men sie nicht, wenn man sie zu einem Kampf für ihre Rechte aufruft. Sie wissen nichts über ihre Rechte. Die Angst wird dir im Empfangszentrum vom ersten Moment an eingepflanzt. In jeder Diskus­sion mit den Betreuer*innen denkst du, dass das, was du sagst, eine negative Auswirkung auf dein Asylverfahren ha­ben kann. Darum neigen Flüchtlinge dazu, alles zu akzeptieren. Sie fürchten, zurückgeschickt zu werden. Daraus ent­steht ein Berg aus Angst, und es ist sehr schwierig, diesen zu überwinden.

Wir müssen das gut analysieren. Die Flüchtlinge sollen ihre Rechte kennen und nicht abergläubisch werden. Es ist unsere Aufgabe, ihr Wissen zu erweitern. Wir sollten ihnen zeigen, dass man sich kräftig fühlt, wenn man sich in einer Or­ganisation bewegt. Es gibt bereits solche Beispiele, wir sollten sie vermehren. Dann können wir einen Boden schaffen, auf dem die Leute stehen können. Und wir Flüchtlinge sollten denken: «Ja, wir haben keine andere Möglichkeit, als hier zu bleiben und ja, wir müssen hier auch etwas erreichen. Darum sollten wir widerständig sein und für unseren Platz kämp­fen.» Wenn wir das nicht schaffen, werden diejenigen, die für die Fluchtgründe ver­antwortlich sind, die ganze Welt lebensun­würdig machen und es wird auch keinen Ort mehr geben, wohin man flüchten kann. Darum müssen wir hier anfangen. Dieser Ort hier steht für alle Orte.

Unsere Identität als politische Flüchtlinge gibt uns eine Verantwortung. Wir wollen gegen rassistische Behandlung kämpfen und möglichst viele Leute erreichen. Der Mensch ist ein soziales und politisches Wesen. Wir haben in der Türkei so gelebt und wir wollen auch hier so leben. Ge­meinsam mit anderen Flüchtlingen und Flüchtlingsfamilien bauen wir hier für uns und unser Kind eine Zukunft auf. Wir wollen die Sprache lernen und uns bilden. Wir wünschen uns und euch viel Erfolg.

Übersetzung aus dem Türkischen von Harika Jakob

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