4. August 2020 Ahmed Mahfouz

Was ist mit dem Frühling passiert?

Arabischer Frühling im Sudan: Alas Salah an einer Protestveranstaltung gegen die 30-jährige Herrschaft von Präsident Omar al-Baschir, April 2019

(Es geht nicht um Erderwärmung, sondern um den Arabischen Frühling.) Für kurze Zeit hatten die Menschen in arabischen Ländern das Gefühl, dass sie etwas verändern konnten. Aber die Diktatoren taten alles, um ihre Hoffnungen zu töten.

Als mir diese Frage zum ersten Mal gestellt wurde, hatte ich keine Ahnung, was ich antworten sollte. Und auch jetzt, nach all der Zeit, habe ich immer noch keine richtige Antwort darauf. ABER: Ich kann mich erinnern, wie es begonnen hat. Und wie es dann weiter gegangen ist. Ich erinnere mich, wie sehr wir die Regimes gehasst haben, die unsere Länder regierten. Wir haben sie gehasst, weil sie so viel Ungerechtigkeit produziert und den Hass zwischen den verschiedenen Kulturen im selben Land gefüttert haben. Ich erinnere mich daran, wie wir versucht haben, dagegen zu protestieren mit allen Mitteln, die uns möglich waren.

Dann kamen die sozialen Netzwerke ins Spiel.

In den sozialen Netzwerken erfuhren wir von Nachrichten und Ereignissen, die niemals im Fernsehen zu sehen oder in irgendeiner Zeitung zu lesen waren. Endlich bekamen wir die Bestätigung, wie korrupt und inkompetent unsere Regimes waren, durch all die Nachrichten, die zuvor verboten gewesen waren und von denen es geheissen hatte, es seien Gerüchte. Wir bekamen die Bestätigung der Fakten. Ausserdem begannen wir in den sozialen Netzwerken als Gruppen zu protestieren, nicht als Einzelne wie vorher.  Und als diese Proteste sich auf die Strasse ausweiteten, waren nicht nur die Regimes überrascht, auch wir selbst waren überrascht.

Wir waren überrascht, wie viele wir waren. Wir waren überrascht, dass es möglich schien, eine Wirkung zu haben. Zu Beginn wussten wir nicht einmal, ob wir die Macht haben würden, etwas zu bewirken und zu verändern. Und dann machten wir viele Aktionen, die sehr schnell dazu führten, dass in manchen Ländern die Regimes der Diktatoren abtreten mussten, und dass sie sich in anderen nur noch in ihren Hauptstädten halten konnten.


Wir begannen in den sozialen Netzwerken als Gruppen zu protestieren, nicht als Einzelne wie vorher.  Und als diese Proteste sich auf die Strasse ausweiteten, waren nicht nur die Regimes überrascht, auch wir selbst waren überrascht.


Aber es scheint auch, dass diese diktatorischen Regimes schnell aus ihrem Schockzustand erwacht sind und ihre Macht sehr gut neu organisiert haben, um den Spiess umzudrehen. Und bevor Sie Ihr Urteil fällen, möchte ich Sie daran erinnern, dass der moderne Diktator nicht so ist, wie jener, den Sie aus Filmen und Romanen kennen. Es ist nicht der hässliche Mann, der immer ein wütendes Gesicht macht oder gar einen Schnauz trägt.

Moderne Diktatoren tragen heute sehr schöne Anzüge. Und sie lassen Fotos veröffentlichen, die sie als liebende Väter mit ihren Familien zeigen, und andere Fotos, auf denen sie mit irgendwelchen Leuten als deren geliebte Führer zu sehen sind. So haben sie mit viel Geld und Geduld ihre ganzen Möglichkeiten genutzt, um alles wieder rückgängig zu machen. Und ich meine alles! Mit ihren brutalen Streitkräften (manchmal sogar mit denen anderer Länder) und auch mit Propaganda und sogar mit den sozialen Medien.

Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass mir jemand in Ägypten seine Geschichten von den Tränengasbomben erzählt hat: Am 25. Januar 2011 setzte die Polizei viele Tränengasbomben ein. Die Jugendlichen auf den Plätzen versuchten, deren Effekt zu minimieren, indem sie nasse Tücher vor ihr Gesicht hielten. Und manchmal kickten sie die Tränengasbomben zurück auf die Seite der Polizei. Nach ein paar Tagen kam die Polizei mit einer neuen, viel stärkeren Art von Tränengasbombe zurück, die ausserdem aus einer sehr grossen Entfernung abgeworfen werden und deshalb auch nicht zurückgekickt werden kann – zum ersten Mal starben Menschen durch das Einatmen der Gase.

Übrigens wurden diese neuen Tränengasbomben aus demjenigen Land importiert, welches angeblich das Land ist, das sich am meisten für die Freiheit in der Welt einsetzt (die Herkunft konnte man auf den leeren Gasbomben lesen). Dann fanden die Jugendlichen auf den Plätzen heraus, dass die Gasbomben, wenn sie sie abdecken konnten, weniger Schaden anrichteten und nach einer Weile leer waren. Also beschlossen sie, das zu tun. Aber die Polizei änderte ihre Taktik: Wenn sie eine Gasbombe warfen und jemand dann zur Bombe rannte, um sie abzudecken, schossen sie auf diese Person, um sie sofort zu töten.

Ich erzähle diese Geschichte als kleines und einfaches Beispiel, um zu erklären, wie diese grausamen Regimes bereit sind, alles zu tun, um den arabischen Frühling rückgängig zu machen. Andere Geschichten sind viel blutiger und komplizierter. Tatsächlich haben diese blutigen Regimes eine sehr wichtige Sache erkannt, nämlich: Die Jugendlichen, die auf die Strasse gehen, sind bereit, sogar ihr Leben in Gefahr zu bringen, weil sie die Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben. Sie wollten diese Hoffnungen töten und die Revolutionen ersticken. Und bis jetzt ist ihnen das auch gelungen.


Diese grausamen Regimes sind bereit, alles zu tun, um den arabischen Frühling rückgängig zu machen.


Also zurück zur Hauptfrage: Was ist mit dem Frühling passiert? Wie ich schon zu Beginn sagte, habe ich immer noch keine richtige Antwort darauf. Aber ich bin sicher, solange der Winter auch dauert und so kalt er auch ist und so viele dunkle Nächte er hat, am Ende wird der Frühling wiederkommen.
Und es wird der beste Frühling aller Zeiten sein. Wir werden sogar vergessen, dass einmal Winter war.

Übersetzt von Ulrike Ulrich

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