1. Februar 2011 Homayun Sobhani
Kaum ein anderer Begriff erfährt solch eine Konjunktur wie der des Rassismus.
In Abgrenzung zu diesem Terminus erscheinen heute in bürgerlichen Medien inflationär friedvolle und humane Karikaturen mit Phrasen wie «politisch korrekt». Dabei wird auf einer morbiden Bühne immer wieder das Stück einer fortschrittlich-demokratischen Kultur gespielt, welche für sich die Rassismusfrage geklärt hat und sie kategorisch verwirft, deren Existenz gar verkennt. Doch diese Phantasmen von Harmonie und Dialog sind bloss gut kalkulierte Fassaden von Lügen.
Das heutige soziale Gebilde als Kind der kolonialen Vergewaltigung hat rassistisches Denken in seinem Fundament verinnerlicht. Rassenglaube versteht sich als strukturelle Tradition, ist im Gefüge tief verwurzelt. Das Recht rassistisch zu sein, besitzt in einer weissen Gesellschaft nämlich derjenige, der über Grundstruktursetzung einer Gesellschaft verfügt: Eigentumsund Machtverhältnisse, Verfügungsgewalt, juristische und kulturschaffende Institutionen. Und wer verfügt über diese? Die weisse, integrierte Schicht. Dadurch ergibt sich eine Struktur von ungleichen Verhältnissen, die in sich
Rassismus produzieren und reproduzieren. Über dieser Basis erheben sich verschiedene Gesellschaftsausprägungen, welche die Latenz von Rassismus notwendigerweise in ihrer täglichen Erscheinung widerspiegeln. Dabei entstehen mannigfaltige Rassismusformen, hier demokratischen Farcen wie die Machenschaften nationalkonservativer Gruppierungen (Ausschaffungsinitiative und Arbeitsverbot für illegalisierte Migranten), dort archetypischere wie Polizeikontrolle von Sans-Papiers.
Vielen «Nicht-Betroffenen» ist das oben aufgeführte Konzept eines strukturellen Rassismus bestimmt bekannt. Solche Menschen sind jedoch nicht davor gefeit, allen gesellschaftlichen Bewusstseins und Menschlichkeit zum Trotz, den in der weiss-dominierten Kultur verankerten Rassismus ständig zu reproduzieren. Weshalb?
Vor dem Hintergrund der Critical Whiteness Studies gilt «weiss» als relationale Kategorie, die im Bezug auf «schwarz» eine dichotome Abgrenzung findet, wobei hier «schwarz» breiter definiert wird und somit die Assoziation mit allen phylogenetischen Merkmalen meint, die nicht der westeuropäischen entsprechen: von dunklem Hautund Haartyp bis hin zur «exotischen» Kultur.
U. Wachendrofer, Psychologin und Forscherin innerhalb der Whiteness Studies, erklärt, dass dem Weissen im Alltag ein Schutz der Anonymität zur Verfügung steht, nur schon deshalb, weil die allgemeine Aufmerksamkeit nicht andauernd auf ihn gerichtet ist. Konträr dazu sind «Schwarze» stets mit Fragen über ihre «eigentliche» Herkunft konfrontiert. Wie oft hat sich der engagierteste Menschenfreund dabei ertappt, sich das Recht zu nehmen, jemanden zu fragen, woher dieser komme. Solch eine Frage ruht auf vorgefasste Meinungen, die Antwort wird bereits durch die Frage vorgegeben. Wird ausnahmsweise eine unerwartete Antwort gegeben wie «Ich komme aus Bern», ist für den Fragenden die Antwort zweifelhaft: «Ja, aber woher ursprünglich?». Dabei wird den Befragten die Definitionsmacht über die eigene Identität verweigert. Der Fragende betrachtet den anderen als «fremd», die Fremdheit wird den Befragten von aussen aufgezwungen.
Und genau hier findet das Paradoxon unzähliger Antirassismuskampagnen und selbsterklärten Humanisten seinen Ursprung: Jene Menschen sehen sich nicht als Zahnräder im Mechanismus der Fremdenfeindlichkeit. Ihr unreflektiertes Weisssein und die Zugehörigkeit zur «Herrschaftsschicht» in rassistischen Strukturen bedingt ein Mitwirken an der rassistischen Ausbeutung.
Denn Weisssein ist offensichtlich ein Privileg. Es ermöglicht erst das freiwillige Auseinandersetzen mit der Rassismusfrage. Kulturpolitische Vereine im erklärten Kampf gegen Rassendenken sind beispielsweise in der Zahl ihrer Organisatoren mehrheitlich weiss und erhalten zwangsläufigen einen ehrenamtlichen, paternalistischen Charakter. Die Abwesenheit der Reflexion über das eigene Weisssein und den normativen Charakter dieses Bewusstseins ist Reproduktion der rassistischen Struktur. Somit ist der Anspruch auf Menschlichkeit absurd, solange die Privilegien eigenen Weissseins nicht hinterfragt werden.
An dieser Stelle will man genau für diese Selbstreflexion plädieren und denjenigen dazu auffordern, die Motivation des eigenen Aktivismus zu entlarven. Man will dazu aufrufen, den Gebrauch von bestimmten Aussagen («Man sehe per se keine Herkunftsunterschiede, es seien doch alle Menschen gleich.»), die sich vor sämtlicher Hinterfragung und Kritik als politisch korrekt abschirmen, zu unterlassen. Denn es ist eben dieser Liberalismus des selbsternannten Menschenfreundes, der es verbietet die Parameter seiner Dominanz zu benennen. Folglich ist es nur im Moment der Hinterfragung der eigenen Neutralität, Normalität und Normativität möglich, sich von seiner weissen Rassenprivilegierung zu distanzieren und an die Rassismusfrage ehrlicher heranzugehen.