1. Mai 2012 R.

Wenn die anderen Z'nüni nehmen, arbeite ich weiter...

«Was für ein Recht? Mit Rechten bekommst du den Lohn nicht, wenn der Chef ihn dir nicht geben will.» Ein Blick in die Arbeitswelt von R. aus Basel – als Sans Papier auf dem Bau.

Das Wichtigste ist, dass ich sehr vorsichtig arbeite. Wenn was mit mir passiert, kann ich nicht zum Arzt gehen. Egal was passiert, du bist schutzlos. Ganz abgesehen vom Arbeitsausfall – wenn ich nicht arbeite, gibt es auch kein Geld, ist doch klar. Von wem auch? Auf dem Bau zu arbeiten, wird überhaupt immer schwieriger. Das Problem ist, dass nun für uns Sans- Papiers, die für einen kleinen Lohn arbeiten, die Konkurrenz gestiegen ist. Wir mussten uns schon immer mit lächerlichen 20 Franken zufriedengeben. Seit einigen Jahren arbeiten Menschen aus anderen EU-ländern auch für einen kleinen Lohn hier. Die Firmen können sie aber legal einstellen. Viele arbeiten zwar trotzdem schwarz, haben aber Dokumente, haben Probezeitverträge. Wenn eine Kontrolle kommt, können sie das vorweisen. Wir nicht. Deshalb werden sie bevorzugt.

Ausserdem arbeite ich mehr als alle anderen, der Chef ist trotzdem nie zufrieden. Wenn die anderen z’Nüni nehmen, arbeite ich weiter. Ständig ruft mich der Chef an und nervt am Telefon. Bist du fertig, bist du fertig? Dann sage ich immer: «Ruf mich nicht immer an, wenn ich fertig bin, melde ich mich selber!» Dieser ständige Druck stresst. Wenn wir zum Beispiel kein Material haben und nicht arbeiten können, ruhen sich die Schweizer Kollegen aus und warten, bis es wieder Arbeit gibt. Ich kann das nicht machen. Ich muss immer was machen. Putzen oder sonst irgendeinen Scheiss machen, den sonst niemand machen will. Einfach nicht Nichts machen: Das geht nicht!


«Und dann, wenn der Tag fertig ist, erfährst du, ob du am nächsten Tag arbeiten kannst.»


Manchmal arbeite ich bis spät am Abend, auch wenn alle nach Hause gegangen sind. Von 18 bis 22 Uhr. Eigentlich müsste ich dann mehr lohn bekommen. Nichts da, kein Nachtzuschlag. An Wochenenden und Feiertagen das Gleiche. Der Lohn ist immer derselbe. Manchmal sagt der Chef, dass ich Vorarbeiter sein soll. Die ganze Verantwortung liegt dann bei mir, der ganze Stress auch. Bezahlt werde ich trotzdem gleich. «Das geht doch nicht», können meine Schweizer Kollegen sagen und mehr Lohn verlangen. Manchmal sagt der Chef das aber auch einfach so. Er ruft alle an und sagt: «Heute bist du der Chef» und dann gibt es Probleme, weil alle glauben, die Chefs zu sein. Er hetzt uns damit gegeneinander auf. So wird Druck aufgebaut, damit wir schneller arbeiten. Aber dann beginnt auch der Kampf darum, wer das Sagen hat. Dann wird die Stimmung unerträglich, und alle sind wütend. Und dann, wenn der Tag fertig ist, erfährst du, ob du am nächsten Tag arbeiten kannst. Das ist immer so. Feste Abmachungen gibt es da nie.

Ich muss ständig kämpfen, um meinen Lohn zu bekommen. Das raubt dir alle Nerven, weil das Geld oft erst Wochen später kommt. Bis zu zehn Mal muss ich anrufen und danach fragen. Reklamieren gehen kann ich nicht. Mit Rechten kann ich da nicht kommen. Was für ein Recht? Mit Rechten bekommst du den Lohn nicht, wenn der Chef ihn dir nicht geben will. Dann erfinden sie immer Ausreden, warum sie das Geld nicht haben. Das geht nur mit Reden und Nerven. Aber ich bin ein Sturkopf, ich bekomme immer mein Geld. Wenn ich lange kein Geld bekomme, höre ich auf zu arbeiten.

Bis 3'000 Franken arbeite ich und, wenn ich dann kein Geld sehe, stoppe ich. Ein Freund von mir hatte so lange gearbeitet, bis ihm der Chef 11'000 Franken schuldete. Bis er sein Geld hatte, ging es lange und nur mit Hilfe von Leuten, die uns manchmal bei solchen Sachen unterstützen.

Die Gewerkschaft Unia könnte uns in solchen Fällen helfen, sie vertreten uns Baubeiter. Aber die machen das nicht für Sans-Papiers. Warum nicht? Nein, mit dem Recht kommst du hier nicht weiter. Neulich habe ich zu Freunden gesagt: «Kommt, wir streiken mal!». Wenn wir anfangen, dann machen auch andere mit. Wir haben uns getroffen. Alle arbeiten ohne Papiere, auf dem Bau oder wie eine Bekannte privat bei leuten zu Hause. Aber das ist schwierig gewesen. Wir waren noch zu wenige ...

Artikel mit ähnlichen Themen:
Loading ...