3. August 2016 Schreibgruppe der Autonomen Schule Zürich

Wir und die Schweiz: Ein Stimmungsbild

Nicht nur Ausländer*innen, sondern auch viele Schweizer*innen glauben, dass die Schweiz ein sicheres, reiches und ordentliches Land ist. Allerdings stossen gerade Migrant*innen doch auf einige Probleme, wenn sie in der Schweiz leben. Arbeit und Wohnung sind die verbreitetsten Schwierigkeiten.

Durch Diskussionen in unserem Schreibkurs kamen wir auf die Idee, den alltäglichen Themenbereichen Wohnungssuche, Arbeit, soziales Umfeld, Sprache und Eindruck über die Schweiz und Zürich auf den Grund zu gehen. Wir haben dazu Leute sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Autonomen Schule Zürich interviewt. Dabei war es uns wichtig, sowohl Zugewanderte wie auch Einheimische zu befragen, um beide Sichtweisen einfliessen zu lassen. Der Artikel basiert auf je einem Grundtext einer*s Einheimischen und eines Migranten oder einer Migrantin, erweitert um Inputs von verschiedenen Leuten. So soll ein möglichst breites Stimmungsbild entstehen.

Wohnung und Arbeit

In der Stadt Zürich hat sich die Wohnungssuche in den letzten Jahren zunehmend erschwert. Günstige Wohnungen werden abgerissen oder umgebaut und dadurch teurer. Diese Gentrifizierung kann man momentan im Kreis 4 gut beobachten. Dasselbe gilt auch für die Gegend um den Limmatplatz, in unmittelbarer Nähe zur Autonomen Schule. Nachdem Wincasa Wohnungen modernisiert hat, gibt es nun teure Einzimmerwohnungen, wo vorher Familien gewohnt haben. Sogar den kleinen Dirok Market versucht man loszuwerden. Somit werden weniger gut verdienende Personen an den Stadtrand gedrängt. Gerade für Studentinnen, die wegen der Nähe zur Universität in die Stadt ziehen wollen oder müssen, ist es so immens schwer geworden, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Immerhin bietet sich für Studierende das Leben in einer Wohngemeinschaft (WG) an. Somit können die Miet- und Lebensunterhaltskosten aufgeteilt werden. Der soziale Aspekt an dieser Wohnform ist ebenfalls zu unterstreichen, denn entweder kann man mit Freunden und Freundinnen zusammenziehen oder man lernt neue Leute kennen. Zwei unserer Befragten leben aktuell in einer WG und sind sehr zufrieden damit.

Für Migrant*innen ist es nebst diesen allgemeinen Problemen noch viel schwieriger, eine Wohnung zu finden. In einem Interview wird diese Problematik deutlich: «Es ist sehr schwierig für Migranten und Migrantinnen mit vorläufiger Bewilligung. Auch bei der Wohnungssuche besteht das Problem des racial profiling .» Es gibt aber auch erfreuliche Beispiele, zum Beispiel das einer europäischen Migrantin, die keine grösseren Probleme hatte, eine Wohnung in Zürich zu finden, und dort nun mit ihrer Familie lebt. Was die Wohnungssuche ebenfalls erschweren kann, ist der Aufenthaltsstatus. Menschen mit ungewissem Aufenthaltsstatus wie beispielsweise N und F oder gar ohne Papiere können selbst fast keine Wohnung finden beziehungsweise sich überhaupt gar keine leisten. Es bleiben ihnen nur unmenschliche Massenunterkünfte.

Hinsichtlich der Arbeitssuche zeigt sich, dass für Ausländer*innen wohl ähnliche Probleme existieren. Zwar war keine der befragten Personen diesbezüglich mit unlösbaren Problemen konfrontiert. Dennoch sind sich alle einig, dass hier ebenfalls nach Herkunft kategorisiert wird und viele Unternehmen der Anstellung von Migrant*innen skeptisch gegenüberstehen.

Barrieren können sprachliche Probleme sein oder die mangelnde weltweite Vereinheitlichung von Ausbildungen. Dies führt dazu, dass Diplome nicht anerkannt werden und somit gut ausgebildete Leute wieder am Anfang stehen. Zudem vermuten die Interviewten auch hier ein racial profiling . Auch hier ist der Aufenthaltsstatus entscheidend. Arbeitgeber*innen stellen nicht gerne Leute ein, die das Land vielleicht bald wieder verlassen müssen oder keine Papiere haben.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es für Ausländer*innen aus drei Gründen schwierig ist, in der Schweiz Arbeit und Wohnung zu finden:

  1. Die Sprache ist das grösste Hindernis. Bevor man Job und Wohnung findet, muss man einigermassen gut Deutsch können.
  2. Das Angebot ist zwar nicht überall beschränkt, aber für Migrant*innen gibt es sehr wenige Möglichkeiten.
  3. Ein Teil der Schweizer Bevölkerung schaut Zugewanderte mit sehr kritischen Augen an. Vorurteile stehen dem Zusammenleben im Weg.

Soziales Umfeld

Nebst den notwendigen Grundbedürfnissen ist das Sozialleben für die meisten Personen wichtig: Freunde und Freundinnen, Sportvereine, Musikgruppen, Konzerte, Theater oder natürlich auch ein Engagement an der Autonomen Schule Zürich, um nur einige Beispiele zu nennen.
Das Angebot an diesen Möglichkeiten ist in der Schweiz sehr gross. Jedoch gibt es eine beachtliche Hürde in Form des finanziellen Aspektes. Eine Interviewpartnerin erinnert sich an hohe Mitgliederbeiträge in zwei Sportvereinen im Kanton Aargau. Die Schweiz und speziell Zürich sind bekanntermassen ein teures Pflaster, und das in vielerlei Hinsicht. So ist auch klar, dass die Teilnahme an gesellschaftlichen Aktivitäten eher im höheren Preissegment liegt. Wer über keine oder sehr bescheidene finanzielle Mittel verfügt, hat es folglich besonders schwer, einen Zugang zur Gesellschaft zu finden. Ein Befragter gibt an, dass es in Zürich in der Nähe der verschiedenen Gewässer viele schöne Plätze gibt, wo man Freunde treffen, reden oder spielen kann, ohne dafür bezahlen zu müssen.

Grundsätzliche Probleme für Migrant*innen scheinen hier eher nicht zu bestehen. Fast alle der von uns interviewten Personen fühlen sich absolut zugehörig zur Gesellschaft und haben ein vielfältiges soziales Umfeld. Nur eine negative Geschichte ist hier nennenswert. Einer dunkelhäutigen Person wurde einmal unterschwellig deutlich gemacht, dass sie in einem Chor nicht erwünscht sei. Glücklicherweise sind solche schlimmen Erlebnisse aus dem Bereich soziales Umfeld gemäss unseren Erfahrungen selten.

In dieser Sparte haben wir ausserdem die folgende Frage gestellt: «Wie fühlst du dich, wenn eine fremde Person neben dir im Tram sitzt?» Hier möchten wir einige Antworten kommentarlos zitieren:
−    «Ganz glücklich. Vielleicht mag er/sie mich ja?»
−    «Das ist für mich sehr natürlich. Ich habe vorher in Südfrankreich gelebt und bin dort beispielsweise vielen Nordafrikaner*innen begegnet.»
−    «Chillig. :-) Aber normalerweise suche ich mir auch einen freien Platz, wo niemand neben mir sitzt. ;-) Unangenehm ist es mir nur, wenn jemand stinkt oder so.»
−    «Nicht besonders, eigentlich.»
−    «Was ist fremd?»

Sprache

Für Migrant*innen ist es von grosser Bedeutung, die deutsche Sprache zu lernen. Dies hilft bei der Lösung vieler alltäglicher Probleme und kann lebensnotwendig werden, wenn man beispielsweise in einem Krankenhaus ist. Zudem würde so der Kontakt zur einheimischen Bevölkerung erleichtert. Genau diese Verbindung vermissen allerdings viele unserer Teilnehmenden. Sie schätzen die Autonome Schule sehr und lernen gerne anhand von Lehrbüchern. Sie betonen aber, dass sie sich wünschen würden, auch Brücken zu Menschen ausserhalb der Schule bauen zu können. Dies einerseits, um die Sprache im wirklichen Alltag kennenzulernen und andererseits, um das soziale Umfeld beständig zu erweitern.

Eine Teilnehmende hatte sogar eine konkrete Idee. Sie könnte sich vorstellen, Sprachtandems mit Menschen aus der Bevölkerung zu unterhalten. Dies würde bedeuten, dass sie einer Person ihre eigene Sprache näherbringt und diese ihr das Deutsch. Zudem würden zusätzliche soziale Kontakte in beide Richtungen geknüpft. Vielleicht lässt sich dies ja in irgendeiner Form realisieren? Für unsere Interviewpartner*innen ist die deutsche Sprache kein Problem (mehr). Sie sind entweder bereits damit aufgewachsen oder konnten es in Kursen lernen. Für einen Befragten sind einzig die langen Wörter im Vergleich zu seiner Sprache bis heute noch merkwürdig.

Die Schweiz und Zürich

Die befragten Personen finden die Schweiz grundsätzlich ein sehr schönes Land. Sie schätzen die kulturelle Vielfalt und auch die Natur. Weiter haben sie hier viele Freunde, und die Schweiz ist für sie ein Zuhause geworden. Es fiel auf, dass die interviewten Leute die Schweiz als Vergnügungspark sehen. So ist die Wendung «Disneyland für Erwachsene» in einem Fragebogen anzutreffen. Wer diese schöne Natur oder das Stadtleben geniessen möchte, muss sich jedoch die Eintrittskarte leisten können.

Als ganz so malerisch in jeglicher Hinsicht empfinden die Interviewten das hiesige Leben dann doch nicht. Vielen ist der Leistungsdruck ein Dorn im Auge. Gerade in Zürich - der «Metropole» der Schweiz mit viel Business -, ist dieser vorherrschend. Die Konzentration auf das Geschäftsleben hat beispielsweise auch zur Folge, dass die viel geschätzte Natur mehr und mehr durch Bauten zerstört wird. Dies stimmt die von uns befragten Personen nachdenklich. Sie haben den Eindruck, dass es in der Stadt immer weniger Orte gibt, wo man sich einfach frei bewegen kann. Sich frei zu bewegen ist auch für Migrant*innen in Zürich nicht immer einfach. In einigen Gesprächen wurde deutlich, dass vielen die Problematik der Polizeikontrollen von Ausländer*innen (racial profiling) auf dem Magen liegt. Der Wunsch nach mehr Toleranz und Offenheit zieht sich durch praktisch alle Interviews. Die aktuelle Schweizer Politik bewegt unsere Befragten ebenfalls. Es wird erwähnt, dass es traurig und zugleich interessant ist, zu beobachten, wie sich zur Zeit die Parteien in die Extreme begeben. Bedenklich ist vor allem, dass die SVP als klar rechte Partei so viele Wähleranteile hat. Von einer Interviewpartnerin wird die starke Rolle der Frau in der Schweiz erwähnt. Schweizer Frauen seien aufgeschlossen und stünden mitten im Leben und im Beruf. Das stimmt unsere Befragte sehr positiv.
Trotz vieler unangenehmer Situationen für Migrant*innen im Alltag, trotz schwieriger Wohnungssuche oder Polizeikontrollen, gefällt es allen Interviewpartner*innen gut in der Schweiz. Jemand sieht die Probleme auch als Chance, die Sprache schnell zu lernen und sich zu engagieren, damit Personen mit Vorurteilen keinen Grund mehr haben, ablehnend aufzutreten. Sprache ist allgemein ein zentrales Element und einige wünschen sich, über die Sprache noch mehr Kontakte zu knüpfen. Abschliessen soll unseren Artikel eine Antwort auf einem Fragebogen, die diesen eher positiven Tenor unterstreicht und ein gutes Gefühl hinterlässt:

«300%. Zürich ist mein Zuhause.»

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