12. Juni 2017 Tim Zulauf

«Zerwicklung» in Pondoland

Seit zwölf Jahren will ein Minenkonzern an Südafrikas Wild Coast ein Titan-Vorkommen abbauen. In Kauf genommen würde dabei die Zerstörung einer einmaligen Kulturlandschaft. Die Aktivistin Nonhle Mbtumba spricht über die Verbindungen zwischen Widerstand und Tradition.

Tim Zulauf: Nonhle Mbuthuma, wir befinden uns an Südafrikas Eastern Cape in Pondoland. Können Sie etwas über diese Gegend erzählen?
Nonhle Mbtumba: Ich bin hier aufgewachsen, hier im Dorf Sigidi ist mein Zuhause, mein Geburtsort. Schon unsere Urgrosseltern haben hier gelebt und gearbeitet. Wer sein Land verliert, verliert seine Identität. Wir begraben unsere Angehörigen hier, wir ernähren uns vom Ackerbau, dem Vieh, den Fischen, dem Meer. Wenn das Land zerstört wird, wird auch das Meer zerstört.

T: Seit 12 Jahren gibt es das Vorhaben für Titan-Abbau…
N: Die Mineralien würden im «open mining», im Tagebau, abgebaut. Und wenn das Land zerstört ist – der Konzern Mineral Commodities Limited (MRC) behauptet, das dauere «nur» 22 Jahre  – dann ist die Zerstörung irreversibel. Sie werden ja nicht einfach durch ein kleines Loch reinsteigen. Es würde sehr viel Staub aufgewirbelt. Das wird Lungenkrankheiten mit sich bringen. Zudem benötigt dieser Abbau sehr viel Wasser, um den Staub wegzuwaschen. Das ganze Land würde Dürre leiden. Wir würden verlieren, anstatt zu profitieren, was wir inzwischen «Zerwicklung» anstatt «Entwicklung» nennen, «destroyment» anstatt «development»…

T: Warum interessiert das die Regierung nicht?
N: Ich kann nicht sagen, was mit der Regierung Südafrikas los ist. Nach 1994 dachten alle, die neue demokratische Regierung würde vieles erleichtern. Aber sie arbeitet heute Hand in Hand mit den Abbaukonzernen. Sie hat ihren Profit im Blick, nicht unser Leben. Für uns aber steht Geld an letzter Stelle. Unser Leben hier ist wichtiger. Wir schlugen der Regierung als Alternative vor: Fördert doch die Gegend anstatt den Titan-Abbau. Es ist eine der wenigen Regionen Südafrikas, die noch nicht modernisiert wurden, in der noch traditionell gelebt und die Natur respektiert wird. Aber leider sieht unsere Regierung nur den schnellen Profit.

T: Wie ist euer Widerstand organisiert? Wie setzt ihr eure Standpunkte auf lokaler Ebene durch?
N: Es ist sehr schwierig, sich zur Wehr zu setzen. Deshalb haben wir auch gar nicht erst einen Kern von, sagen wir, zwölf Leuten für unser Amadiba Crisis Committee registriert. Wir sind Tausende unregistrierte Mitglieder. Dieser Konflikt dauert nun schon über zwölf Jahre. Der Konzern hat bereits Gelder ins Spiel gebracht. Wenn jemand aus unseren Reihen sich für Geld und gegen den Schutz unserer Landschaft entscheidet, können wir diese Lücke dank der vielen Komitee-Mitglieder problemlos schliessen. So wird der Widerstand immer weitergehen. Aber es gibt Drohungen, besonders gegen die Leute, die sich öffentlich äussern.

Inzwischen realisiert der Konzern MRC, dass es sehr schwer wird, hier Fuss zu fassen. Als sie 2008 erstmals die Grabungsrechte bekamen, setzten wir uns zusammen, um sie strategisch zu blockieren: Wir erlauben weder Umweltschutzgutachten, Arbeitsplanung, Sozialarbeitsplanung… – nichts. Wer keinen guten Grund hat, unser Land zu betreten, wird friedlich gebeten, die Gegend zu verlassen. Da unsere Regierung aber die Interessen des Konzerns vertritt, bestraft sie uns, indem sie unsere Infrastruktur –  Strassen, Häuser, Kliniken oder Stromversorgung – nicht fördert. Unser ganzer Landstrich von 22 Kilometern Länge soll umgesiedelt werden. Deswegen wird hier nichts mehr investiert. Wer nicht mit Zwang umgesiedelt werden soll, muss sowieso «freiwillig» umsiedeln. Wegen des vielen Staubs bliebe keine andere Wahl.

T: Sie haben von Zerstörungen gesprochen, die bereits stattgefunden haben. Geld und Korruption verschärfen die Anspannung in der Gemeinschaft. Wer hat da noch die Macht?
N: Wir haben eigene Strukturen. Der «Chief», der Anführer unserer Gemeinschaft, wurde zwar bereits bestochen. Denn die Konzerne denken, wenn sie die Anführer bestechen, wäre die Sache erledigt. Das stimmt aber nicht. Unser «Chief» zum Beispiel ist nicht mehr Teil unserer Gemeinschaft: Wir haben uns gegen ihn aufgelehnt, denn er hat sich kaufen lassen. Diese Gemeinschaft hier führt sich nun selber, ohne Oberhaupt. Wir glauben, dass das Land mehr wert ist als Geld. Geld ist endlich. Von Geld profitierst nur du, nicht aber deine Nachfahren.

T: Was für eine Rolle nimmt die Frauenbewegung in diesem Konflikt ein? Auf Ihrem T-Shirt steht: «Lösungen für Afrika nur auf Basis der Frauenbewegung».
N: Wer arbeitet traditionellerweise in der Küche? Die Frau. Wer beschafft die Nahrung? Die Frau. Wenn die Frauen das Land verlieren, das Essen, verlieren sie alles. Wie sollen wir unsere Kinder versorgen? Die Männer können in der Mine arbeiten gehen. Aber werden sie ihr Geld mit der Familie teilen? Als Frau kannst du das Land bewirtschaften, Gemüse ziehen und deine Kinder ernähren, selbst wenn dein Mann sein Geld nicht mit dir teilt. Deshalb sagen die Frauen so vehement «Nein» zum Abbau.

T: Was bedeutet der Tod derjenigen, die im Kampf gegen die Mine umkamen?
N: Es sind schon 22 Personen getötet worden – manche erschossen, andere vergiftet, andere an Stress und psychischem Druck verstorben. Der dauernde Widerstand ist eine grosse Belastung, gerade für ältere Menschen. Eben hat das Komitee entschieden, dass wir zukünftig den Verstorbenen am 21. März, am Tag der Menschenrechte, gedenken. Auch wenn unsere Mitstreiter*innen tot sind, sind sie Teil von uns. Wir brauchen ihre Unterstützung.

T: Sehen Sie ein Ende oder zumindest Zwischenresultate des Widerstands?
N: Momentan sind wir auf einem guten Weg. Das Departement für mineralische Ressourcen hat die Abbaubewilligung bereits für 18 Monate ausgesetzt. Wir wissen natürlich, dass sie sich in dieser Zeit auch strategisch vorbereiten wollen. Aber wir können etwas aufatmen. Grosse Angst haben wir vor einem Blutvergiessen. Erst  wenn der Boden blutüberströmt ist, wird die Regierung eingreifen und den Abbau verbieten.

Mitarbeit: Franziska Koch, Sarah E. Müller, Nikhill Vettukattil


Minengeschäft in Südafrika

Die Minen-Industrie Südafrikas ist berüchtigt. 2012, beim Marikana-Massaker in der Platin-Mine des Lonmin-Konzerns, töteten Polizeikräfte 34 der streikenden Bergarbeiter. Generell sind im Land so viele Minenkonzerne tätig, dass das Departement für mineralische Ressourcen die Abbau-Praktiken nicht überprüfen kann. Zudem sind Mitarbeitende des Departements oft über persönliche Interessen mit den Abbau-Unternehmen verstrickt.

In der Amadiba-Region lagert laut Konzernstudien das zehntgrösste Ilmenit-Pigment-Vorkommen der Welt. Es soll vom australischen Minenkonzern Mineral Commodities Limited (MRC) während 22 Jahren abgebaut werden, bei einem Profit von fünf Milliarden Dollar. Da Titan kein toxisches Metall ist, wird es oft für Zahnimplantate verwendet. Ansonsten dienen die Minerale für hochwertige, weisse Pigmente und für das Bleichen von Papier, Porzellan und Textilien.

Mit Tormin existiert nördlich von Kapstadt bereits ein Beispiel für eine gleichartige Titan-Mine. Dort hat der Tagebau ein Desaster angerichtet: Der Schlamm, der nach der Extraktion der Metalle übrig blieb, wurde über Jahre illegal ins Meer gepumpt. Auch hier ist MRC Hauptinvestor.

Das «Amadiba Crisis Committee» wurde 2007 von Bewohnern des Dorfs Xolobeni in der Region Amadiba in Pondoland ins Leben gerufen, um dem geplanten Titan-Abbau entgegenzutreten. Die Region an der Wild Coast in der Provinz Eastern Cape gilt als unberührter Landstrich, in dem traditionell-extensive Landwirtschaft betrieben wird. Durch den Minenbetrieb würden schätzungsweise 100 Haushalte und 1’000 Personen zwangsumgesiedelt. Im Kampf gegen den Titan-Abbau wurde am 23. März 2016 der Aktivist Sikhosiphi «Bazooka» Rhadebe von Unbekannten in Xolobeni erschossen. Gegenwärtig wird vom staatlich geführten Strassenbauunternehmen SANRAL das Autobahnprojekt N2 am letzten unberührten Küstenstrich vorangetrieben. Es würde nicht der Bevölkerung sondern einzig dem zukünftigen Minenbetrieb zudienen, und selber schon 44 Höfe zur Umsiedlung zwingen.

Nach einem Gespräch mit Dick Forslund und Nonhle Mbtumba

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