11. Dezember 2018 Frauengruppe ASZ

Gewalt gegen Frauen - nicht «schlimm genug»?

Gewalt gegen Frauen gibt es überall auf der Welt und in vielen Formen. In die Schweiz migrierte Frauen sind besonders davon betroffen. – Wie diese Gewalt aussieht und was man dagegen tun sollte

Gewalt gegen Frauen ist ein Problem, das es überall auf der Welt gibt. Diese Gewalt hat viele Gesichter und betrifft viele Frauen mehrfach. Wir möchten heute aus der Perspektive von Frauen sprechen, die in die Schweiz migriert sind.

Gewalterfahrung kann ein Grund sein, das Herkunftsland zu verlassen.

Gewalt trifft Frauen auf der Flucht, auf dem Weg in die Schweiz.

Eine Freundin erzählt: Auf dem Weg bleibe ich bei einem Mann, sage, dass er mein Mann ist. Er sagt, ich bin seine Frau. Damit ich sicher bin.

Die Gewalt durchleben Frauen oft erneut, wenn sie in Befragungen ihre Erlebnisse beschreiben müssen. Freundinnen sagen, dass sich die Befragungen des Migrationsamtes wie ein Verhör der Polizei anfühlen. Sie fühlen sich schuldig, sind nervös und schämen sich, wenn sie fremden Menschen, oft Männern, von Ihren Gewalterfahrungen erzählen müssen.

Auch in der Schweiz sind migrierte Frauen nicht vor Gewalt geschützt. Übergriffe in Unterkünften, Gewalt von Ehemännern oder anderen Familienmitgliedern und sexistische sowie rassistische Diskriminierungen sind weitere Erfahrungen, die Frauen in der Schweiz machen.

In meiner Unterkunft ist der Weg zu den Toiletten lang und dunkel, in der Nacht gehe ich dort nicht hin, beschreibt eine Frau.

Wenn ich meinen Mann verlasse, weil er mich schlägt, wie kann ich selbstständig leben? Was sage ich meiner Familie?, fragt eine andere.

In meinem Land hatte ich einen Beruf. Hier in der Schweiz habe ich mich nur noch um die Kinder gekümmert, weil es für meinen Mann einfacher war, eine Arbeit zu finden. Das hat mich gestört, erzählt eine Frau.

Wieder eine andere Frau ärgert sich: Ich bin eine schwarze Frau. Wenn ich an der Langstrasse vorbei gehe, bin ich für die Männer automatisch eine Sexarbeiterin.

Strukturen und Angebote, die Frauen vor diesen Erfahrungen schützen oder ihnen helfen, diese Erfahrungen zu bewältigen, gibt es viel zu wenig. Das Aufenthaltsrecht vieler Frauen in der Schweiz ist oft an den Mann gebunden, der zudem noch die Familie ernährt. Wenn Frauen sich gegen Gewalt wehren, dann müssen sie dagegen kämpfen, dass ihnen nicht geglaubt wird. Oder sie müssen hören, dass die Gewalt, die sie erlebt haben, nicht «schlimm genug» ist. Das zeigt sich auch in der Sprache der Ämter und Behörden, die eine weitere Form der Gewalt ist, die migrantische Frauen erleben. Hier einige Beispiele:

«Eheliche Gewalt führt nicht automatisch und voraussetzungslos zu einem Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. [...] Verbale Konflikte mit gelegentlichem Anschreien sind ebenso wenig ausreichend wie eine einzelne Ohrfeige oder eine einmalige tätliche Auseinandersetzung, in dessen Folge der Ausländer in psychischem Ausnahmezustand mit mehreren Kratzspuren im Gesicht einen Arzt aufsuchte.»

«Das Aufsuchen von Institutionen (z.B. Frauenhäuser), deren Aufgabe es u.a. ist, gewaltbetroffene Frauen zu beraten und zu unterstützen sowie die Tatsache, dass diese Institutionen in ihren Berichten und auch die Ärztin in ihrer Bestätigung die Schilderung der betroffenen Person wiedergeben, stellen für sich alleine noch keinen Beweis für tatsächlich erlittene Gewalt dar [...].»

«Der Eintritt ins Frauenhaus erfolgte sodann nicht etwa aufgrund unmittelbar zuvor erlebter ehelicher Gewalt, sondern vielmehr, weil [die Frau] von ihrem Ehegatten aus der gemeinsamen Wohnung rausgeworfen wurde und sie daher keine andere Wohnmöglichkeit finden konnte.»

«Im Interesse einer wirksamen Begrenzung des Bestandes der ausländischen Wohnbevölkerung und der Begrenzung der Arbeitslosigkeit werden im Kanton Zürich Aufenthaltsbewilligung von getrennt lebenen Ehegatten nicht mehr erneuert, wenn deren Aufenthaltsregelung in der Schweiz aufgrund der Familiennachzugsbestimmungen erfolgt ist, die eheliche Gemeinschaft weniger als drei Jahre gedauert hat und keine besonderen Gründe eine Wegweisung als unangemessen erscheinen lassen.»

Wir fordern, die Gewalt – auch die strukturelle Gewalt - gegen migrierte Frauen zu stoppen.

Wir fordern Infrastrukturen zu schaffen, die auf die Bedürfnisse von gewaltbetroffenen Frauen ausgerichtet sind.

Wir fordern, geschlechterspezifische Fluchtgründe anzuerkennen.

Wir fordern, dass Gewalt gegen Frauen nicht als Problem von ausländischen Männern beschrieben wird. Gewalt gegen Frauen gibt es überall. Gewalt gegen Frauen wird auch vom schweizerischen Migrationssystem produziert und reproduziert.

Wir fordern, dass die verschiedenen Ebenen von Gewalt gegen migrierte Frauen sichtbar gemacht und als Problem anerkannt werden. Nur dann können wir erfolgreich gegen diese Gewalt kämpfen.


English

Violence against women is a problem every woman faces worldwide. The violence has many faces and hits women at different levels. Today, we want to talk from the perspectives of women, who migrated to Switzerland.

The experience of violence can be a reason to leave the country of origin.

Violence affects women while fleeing, on their way to Switzerland.

A friend tells: On the journey I stay with one man, I say he is my husband. He says, I am his wife. Like this I am safe.

Women often experience violence again, when they have to tell the authority what happened on the way to Switzerland. Friends say, it feels like a police interrogation. “We feel guilty, ashamed and nervous, when we have to talk about our experienced violence in front of strangers, often men.”

In Switzerland appropriate protection against violence for migrant women is missing. Women are often confronted with sexual assaults in camps, domestic violence or sexist and racist discrimination. “In my camp, the way to the toilette is long and dark. In the night I don’t go there,” a woman describes.

“Even if I leave my husband, because he beats me up, how can I live independently? What do I tell my family?”, asks another woman.

“In my country I had a job. Here in Switzerland I just took care of the children, because it was easier for my husband to find work. That was hard to accept”, explains a woman.

Another woman is angry:”I’m a black woman. Every time I cross Langstrasse, the men automatically think, I am a sexworker.”

Structures for women to prevent this experiences or help to deal with them are missing. The residence permit for women most of the times depends on the husband. If women stand up against violence, they are often confronted with stigmatization, discrimination, stereotypes and disbelief. Remarks from the authorities like: “The violence you experienced is “not serious enough” are very common and show the structural violence – another form of violence legitimized by authorities. Here are more exemples:

«Eheliche Gewalt führt nicht automatisch und voraussetzungslos zu einem Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. [...] Verbale Konflikte mit gelegentlichem Anschreien sind ebenso wenig ausreichend wie eine einzelne Ohrfeige oder eine einmalige tätliche Auseinandersetzung, in dessen Folge der Ausländer in psychischem Ausnahmezustand mit mehreren Kratzspuren im Gesicht einen Arzt aufsuchte.»

„Das Aufsuchen von Institutionen deren Aufgabe es u.a. ist, gewaltbetroffene Frauen zu beraten und zu unterstützen sowie die Tatsache, dass diese Institutionen in ihren Berichten und auch die Ärztin in ihrer Bestätgung die Schilderung der betroffenen Person wiedergeben, stellen für sich alleine noch keinen Beweis für tatsächlich erlittene Gewalt dar [...].“

„Der Eintritt ins Frauenhaus erfolgte sodann nicht etwa aufgrund unmittelbar zuvor erlebter ehelicher Gewalt, sondern vielmehr, weil [die Frau] von ihrem Ehegatten aus der gemeinsamen Wohnung rausgeworfenn wurde und sie daher keine andere Wohnmöglichkeit finden konnte.“

«…Im Interesse einer wirksamen Begrenzung des Bestandes der ausländischen Wohnbevölkerung und der Begrenzung der Arbeitslosigkeit werden im Kanton Zürich Aufenthaltsbewilligung von getrennt lebenen Ehegatten nicht mehr erneuert, wenn deren Aufenthaltsregelung in der Schweiz aufgrund der Familiennachzugsbestimmungen erfolgt ist, die eheliche Gemeinschaft weniter als drei Jahre gedauert hat und keine besonderen Gründe eine Wegweisung als unangemessen erscheinen lassen.»

We demand to stop violence – also structural violence - against migrated women.

We demand to provide infrastructures – protection and support - according to the needs of women who experienced gender-based violence.

We demand to recognize gender-based violence as a reasons to flee.

We demand that violence against women is not framed as a problem of foreign men. Violence against women exists everywhere. Violence against women is also inflicted by the swiss migration regime.

We demand to show the different levels of violence against women, who migrated, and to recognize them as a problem. This is necessary to be able to fight all these forms of violence.

Dieser Text wurde von der Frauengruppe der Autonomen Schule Zürich am 24. November 2018 an der Demonstration gegen Gewalt gegen Frauen als Rede vorgetragen.

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