2. Juli 2019 Vertreter*innen von map-F

Wie ein Volksentscheid zu systematischer Ausgrenzung führt

Demonstration in Bern gegen die Vorläufige Aufnahme und die daraus folgenden Diskriminierungen, 10. März 2018 (Foto: Mohammad Reza Jafari)

Im Kanton Zürich erhalten vorläufig aufgenommene Ausländer*innen mit F-Status keine Sozialhilfe mehr. Die Folgen sind drastisch.

Eineinhalb Jahre ist es her, seit am 24.09.17 die Stimmberechtigten im Kanton Zürich entschieden haben, dass vorläufig aufgenommene Ausländer*innen keinen Anspruch mehr auf Sozialhilfe haben sollen. Seit dem letzten Jahr werden Betroffene nur noch durch die wesentlich niedrigeren Ansätze der Asylfürsorge unterstützt. Theoretisch bedeutet das: Je nach Gemeinde etwa 30 Prozent weniger Geld für die Miete, weniger Geld für alltägliche Ausgaben. Konkret bedeutet das: In vielen Gemeinden entfallen nun Integrationsmöglichkeiten wie Deutschkurse. Und es wurden Strukturen geschaffen, welche diese verletzliche Personengruppe in prekäre Lebensverhältnisse zwingen.

Die Umsetzung der Gesetzesänderung liegt in den Händen der Gemeinden. Zwar gibt es Empfehlungen der SKOS, verbindliche Richtlinien gibt es jedoch keine. Was aussergewöhnlich ist; denn in der Sozialhilfe und in allen Sozialversicherungen liegen im Normalfall klare Vorschriften und Gesetze vor, die weitgehend festlegen, wer auf wie viel Unterstützung Anspruch hat.

Keine Wohnung, kein Deutschkurs

Die Situation im Kanton Zürich ist nach einem Jahr äusserst unübersichtlich. Neben den grossen gibt es auch kleine, ländliche Gemeinden. Viele von ihnen legen nur beschränkt oder gar nicht offen dar, wie sie die Asylfürsorge gestalten. Die Situation ist völlig intransparent. Die Gemeinden im Kanton Zürich setzen die Gesetzesänderung sehr unterschiedlich um. Welche Leistungen die Gemeinden Betroffenen konkret zukommen lassen und auf welcher Basis Entscheide gefällt werden, muss nicht offengelegt werden.
Es sind jedoch Tendenzen sichtbar. In ausnahmslos allen Gemeinden wurden drastische Kürzungen vollzogen. Abgesehen vom Gesundheitswesen betrifft dies alle Bereiche des Alltags: Vielerorts müssen Personen mit Status F aus ihren Wohnungen aus- und im Extremfall – der leider kein Ausnahmefall ist – in Kollektivunterkünfte zurückziehen. Das Budget für alltägliche Ausgaben wird mindestens um ein Drittel gekürzt. Viele Gemeinden – darunter alle Gemeinden, die mit der ORS Service AG Leistungsverträge abgeschlossen haben – kürzen noch weitaus stärker. Es ist mindestens ein Fall bekannt, laut welchem eine Familie einen Grundbedarf erhält, der wesentlich niedriger ist als die Ansätze der Nothilfe, auf die abgewiesene Asylsuchende Anspruch haben. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Finanzierung von Integrationsleistungen – zum Beispiel von Deutschkursen. Es sind Fälle bekannt, in denen bei Ehepaaren nur noch dem Mann ein Deutschkurs bezahlt wird: Er soll möglichst schnell arbeiten können. Die Frau soll zu Hause bleiben und auf die Kinder aufpassen.

Die grossen Unterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden kommen für Betroffene einer Lotterie gleich. Wer Glück hat, wird einer Gemeinde mit einer moderaten Gesetzesumsetzung zugewiesen. Wer Pech hat, ist gezwungen in einer Gemeinde zu leben, welche ausschliesslich Asyl- und Kollektivunterkünfte für vorläufig aufgenommene Personen vorsieht und erhält nur marginale Unterstützungsleistungen.

Kinder besonders betroffen

Vorläufig aufgenommene Personen sind Personen, die wegen Kriegen oder Konflikten ihre Heimat verlassen mussten – aus genau den gleichen Gründen, aufgrund derer andere Migrant*innen Asyl erhalten. Die Mehrheit von ihnen wird ihr Leben in der Schweiz verbringen, doch der Status der vorläufigen Aufnahme versetzt sie in einen prekären Zustand. Sie sind gegenüber anerkannten Geflüchteten stark benachteiligt; so wird ihnen etwa nur ein unzulässiger Schutzstatus gewährt, was für Betroffene psychisch sehr belastend ist. Mit der Gesetzesänderung im Kanton Zürich hat sich die Situation zusätzlich verschärft. Besonders drastisch sind die Veränderungen für Kinder und Jugendliche. Unter gegebener Situation ist ein altersgerechtes und gesundes Aufwachsen nicht gewährleistet.

Vorläufig Aufgenommene haben ein Anrecht auf angemessene Unterstützung, um sich ein Leben aufbauen zu können. Sie benötigen eine Starthilfe, um sich eine neue Existenz aufbauen zu können. Sie haben ein Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft. Was vom Kanton und Bund gefordert werden muss, ist klar: Integration anstatt Exklusion. Nur unter angemessenen Bedingungen können sich geflüchtete Personen in eine Gesellschaft integrieren und an der hiesigen Gesellschaft teilhaben. Und nur eine solche Gesellschaft ist eine nachhaltige Gesellschaft. Egalität und Chancengleichheit statt Ungleichheit und Diskriminierung. Es kann und darf nicht sein, dass eine solch krasse Ungleichbehandlung in der heutigen Zeit nicht nur toleriert wird, sondern solche Verhältnisse strukturell erst geschaffen werden.


Die Monitoring- und Anlaufstelle map-F

map-F ist eine Monitoring- und Anlauf-stelle für vorläufig aufgenommene Personen. Der unabhängige Verein betreibt eine Anlaufstelle in der Stadt Zürich. map-F sammelt Informationen über die Umsetzung des neuen Gesetzes in möglichst vielen Gemeinden und macht diese Informationen der Öffentlichkeit zugänglich. Die Anlaufstelle hört die Probleme Betroffener an, informiert sie und klärt sie über ihre Situation auf und zeigt ihnen möglichen Handlungsspielraum auf. Gleichzeitig bietet map-F Betroffenen eine Stimme, indem Willkür und Diskriminierung öffentlich gemacht werden.
 
Genauere Informationen zu diesem Thema: www.map-f.ch
Um diese Ziele besser erreichen zu können, ist map-F auf Unterstützung und Hinweise angewiesen:
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